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Foto: Viele Beine von Kindern, die in einem Halbkreis sitzen und Hausschuhe tragen

Keine Unterschiede in der besonderen Klasse | Foto: Hannah

Artikel von Hannah
Bereich
Wissen
Veröffentlicht
31.03.2022

FSJ ... WTF ?

Ich stecke gerade mitten in meinem Freiwilligen Sozialen Jahr. Es ist die pure Überforderung, aber dann auch wieder so einfach. Es kostet mich so viel Energie, gibt mir aber dreimal so viel zurück. Es ist ein Jahr für mich und gleichzeitig ein Jahr für andere.

Wie alle anderen ist auch mein FSJ am 1. September gestartet. Die ersten Wochen waren hart. Ich kannte die Abläufe nicht, ich kannte die Kollegen nicht und natürlich kannte ich auch die Klienten nicht. Die Klienten sind bei mir die 10 Kinder einer 3. Klasse mit besonderem Förderbedarf. Zusätzlich gab es einen ganzen Berg an neuen Bezeichnungen und unglaublich viele Abkürzungen. Aber mit jedem Tag wurde es leichter.

Arbeiten ist harte Arbeit!

An was man sich auf jeden Fall gewöhnen muss, ist die 39 Stunden Woche! Auch wenn man schon während der Schulzeit nebenbei gearbeitet hat - 39 Stunden in der Arbeit zu stehen ist etwas ganz anderes und die ersten Wochen ist man sooo platt!


Meine Stelle ist speziell. Die Kinder sind an der Förderschule angemeldet, haben ihr Klassenzimmer aber in einer Regel-Grundschule. Gemeinsam mit einer Regel-Klasse bilden sie die Klasse 3b. Aber sie haben nicht alle Fächer zusammen. In den Fächer Musik, Kunst, Werken, Sport, Schwimmen und Englisch wird gemeinsam gelernt – das nennt man „inklusiv“, also Kinder mit und ohne Behinderung. Auch Feste und Ausflüge machen alle zusammen.

Schulfach: Soziales Lernen

Foto: Whiteboard mit Symbolen für den Stundenplan
Unser Stundenplan | Foto: Hannah

 

 

 

Ganz cool ist die "Besondere Stunde", die wir einmal in der Woche gemeinsam haben. In der Stunde lernen die Kinder sozialen Umgang miteinander: Gefühle erkennen, wahrnehmen und benennen - bei einem selber und bei anderen. Und was man gegen große unangenehme Gefühle tun kann. Mit Spielen und Übungen lernen die Kinder, dass es mehr gibt als nur "Mir gehts gut" oder "Mir gehts schlecht", dass ein flüchtiges "Wie geht's dir?" oft nicht reicht und dass Gefühle bei jedem anders aussehen. Am wichtigsten allerdings ist, dass sie sich und ihre Klassenkameraden besser kennen lernen und sich gegenseitig vertrauen lernen.

 

Besonders beeinduckend fand ich die Stunde, in der wir über das WIR gesprochen haben. „Das kleine WIR“ ist ein Buch von Daniela Kunkel. Es erzählt die Geschichte von zwei Freunden. Denn dort, wo Menschen sich mögen, entsteht ein WIR. Es wächst je besser man zusammenhällt, wenn man sich aber streitet, wird es ganz klein und versteckt sich. Wir haben über das Gefühl gesprochen, das man spürt, wenn das WIR anwesend ist und was man tun muss, wenn es einmal ganz klein wird und sich versteckt. Nur ein paar Tage später haben die Kinder über eine längere Zeit wunderschön miteinander im Garten gespielt. Auf dem Weg zum Bus erzählte mir ein Schüler: "Heute hab ich das WIR richtig gespürt und ich will, dass es nicht mehr weggeht.“

 

Generell gehen die Kinder mit dem Thema Inklusion total entspannt um. Die Kinder wachsen gemeinsam auf und so kommen Berührungsängste gar nicht erst auf. Ein Mädchen aus der Partnerklasse hat einmal gesagt: „Ich versteh manchmal nicht was Mia (Name geändert) sagt, aber wenn wir lachen ist mir das auch egal.“ Es sind alles Kinder.

Ich lerne so viel Neues!

Die Arbeit mit Kindern mit Behinderung hat für mich den Blick auf die Welt verrutscht:

Die Förderkinder unserer Klasse werden mit dem Bus gebracht und abgeholt, so dass der Lehrer-Eltern-Kontakt über ein Mitteilungsheft läuft. Dieses Heft sollen die Kinder am Morgen als allererstes nach vorne ans Lehrerpult bringen. An einem Morgen habe ich einem Mädchen ihr Heft in die Hand gedrückt und ihr gesagt, sie solle es ans Pult bringen. Weil da aber noch ein anderes Kind vor ihr stand, hätte sie kurz warten müssen. Das wollte sie aber nicht und warf ihr Heft einfach auf den Boden. Anstatt sie zu schimpfen hat der Lehrer sie zu sich gerufen und ihr gesagt, sie sei doch eine gute Schülerin und gute Schülerinnen könnten warten. In meiner alten Vorstellung war dieses Mädchen keine gute Schülerin. Sie kann nicht lesen, die Zahlen 1 bis 3 weiß sie nur manchmal und sie spricht kaum mehr als 3-Wort-Sätze. Nach dem, was ich selbst so selber in der Schule gelernt und mitgemacht habe, ist sie keine gute Schülerin. Aber als ich jetzt drüber nachgedacht habe, ist mir aufgefallen, dass ich da total falsch lag! Sie kann so viel: Sie hat gelernt, sich mit ihrem Ipad-Talker zu verständigen. Sie weiß genau: Wenn sie ihren Beutel dabeihat, gehen wir Schwimmen. Sie kennt die Farben und vieles mehr - und das trotz ihrer Krankheiten. Sie hört meistens zu und lernt. Sie ist eine gute Schülerin!

 

Foto: Ipad-Talker mit vielen Symbolen, die für wichtige Worte und Sätze stehen
Ipad-Talker mit der Sprach-App Meta-Com 8 | Foto: Hannah

Was ist ein FSJ?

Ein FSJ ist ein freiwilliges soziales Jahr, in dem man Vollzeit in einer sozialen Einrichtung arbeitet. Zum Beispiel kann man ein FSJ in Krankenhäusern, Altenheimen, Schulen oder Kindergärten, Museen, Büchereien, Sportvereinen, Jugendtreffs, bei Kirchen, im Rettungsdienst oder bei der Feuerwehr machen. Für die Arbeit bekommt man nur ein Taschengeld, aber dafür, dass man ja noch keine Ausbildung hat, finde ich das voll okay. Ich bekomme im Monat 660,- € für 39 Stunden Arbeit pro Woche. Man hat 30 Urlaubstage plus die gesetzlichen Feiertage.

 

Meine Stunden notiere ich auf einem Stundenzettel und rechne da aus, ob ich Plus- oder Minus-Stunden gemacht habe (also ob ich mehr oder weniger als 39 Stunden gearbeitet habe). Diese sollte man so bald wie möglich ausgleichen.

 

Alle allgemeinen Infos zum FSJ in Deutschland findest du hier.

Die 3 Säulen eines FSJ

Ein Freiwilliges Soziales Jahr steht auf 3 Füßen:

 

  1. Die Einsatzstelle: Dort bist du jeden Tag, dort ist dein Chef und deine Anleitung, also jemand, mit dem du nahe zusammenarbeitest, der immer für dich da ist und dir hilft, dich aber auch auf Fehler hinweist.
  2. Der Träger: Der Träger stellt dich an und koordiniert dein FSJ. Er unterstützt dich von Anfang bei dem ganzen Papierkram, der vor dem FSJ ansteht. Der Träger organisiert auch die Seminare. Die Seminare sind 5 Treffen a 5 Tage, bei denen alle FSJlerInnen sich austauschen können und das Erlebte erzählen und teilen können. Mein Träger ist der BDKJ (der Bund der katholischen Jugend).
  3. Du selbst: Du suchst dir eine Einsatzstelle, die du vor Beginn auch schon anschauen kannst, um zu checken, ob du dich dort ein Jahr lang wohl fühlen könntest. Man kann aber auch unter dem Jahr die Einsatzstelle wechseln, sollte es überhaupt nicht klappen.

Mein Fazit

Für mich war das FSJ die richtige Entscheidung, da ich jetzt weiß, dass mir diese Arbeit liegt und dass ich später vielleicht in dem Bereich arbeiten will. Natürlich kann so ein FSJ einem auch zeigen, dass man genau das nicht machen will. In jedem Fall bringt es einen weiter und hilft einem, selbstständiger und erwachsener zu werden.

 

 

Foto: wie Titelbild: Beine von Kindern, die im Kreis auf dem Boden sitzen

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