
Auf der Couch mit Lijana
- Interview von Team aROund
- Bereich
- Wissen
- Veröffentlicht
- 10.12.2024
Vom GNTM-Model zur Botschafterin
Sie steht auf der Bühne und formt mit den Händen ein Herz. Mit ihrer Botschaft "Love always wins" tourt Lijana Kaggwa durch Deutschland und klärt auf über Cybermobbing. Sie weiß genau, wovon sie spricht, denn während ihrer Teilnahme bei "Germanys next Topmodel" wurde sie nicht nur online mit Hass überschüttet, sondern auch im realen Leben bedroht, so dass die Polizei sie vor dem Finale der Casting-Show unter Polizeischutz stellte. Ende November war Lijana hier bei uns in Bad Aibling, um an einer Schule von ihren krassen Erfahrungen zu erzählen. Melina, Ann-Katrin und Audrey von aROund haben sie dort zum Interview getroffen.
Kurz zu Lijanas Geschichte: Im GNTM Finale 2020 überraschte Lijana alle mit ihrem Ausstieg. Es ist so, dass bei dieser Sendung nur die Finalshow live ausgestrahlt wird. Alle Folgen davor werden einige Monate früher aufgenommen. Während dieser Dreharbeiten sind die Kandidat*innen wie in einer Blase von der Außenwelt abgeschnitten. Sie dürfen kein Handy haben! Damit die TV-Sendung nicht langweilig wird, werden im Schnitt einigen Models Rollen wie "die Schüchterne", "die Heulsuse" oder "die Dramaqueen" zugewiesen. Lijana wurde als "lästernde Zicke" dargestellt. Erst als sie vor dem Live-Finale selbst die Sendungen anschauen konnte, wurde ihr das klar. Noch davor - nämlich in dem Moment als sie ihr Handy zum ersten Mal nach langer Zeit wieder einschalten durfte, ploppten in ihren Social Media Kanälen im Sekundentakt Hassnachrichten auf. Jemand verriet im Netz ihre Adresse, so dass Leute ihr auflauerten. Und im Garten vor dem Haus tauchte ein Giftköder auf, der vermutlich für ihren Hund gedacht gewesen war. Lijana war am Boden, voller Selbstzweifel und entsetzt darüber, was ihre Teilnahme bei GNTM ausgelöst hatte. Im Finale erklärte sie ihren Ausstieg aus der Show und wurde zur Whistleblowerin, die trotz Schweigepflicht öffentlich machte, was hinter den Kulissen passierte. Die Macher der Sendung verklagten Lijana vor Gericht, doch in den wichtigsten Punkten gewann sie.
Nicht alle von uns haben GNTM 2020 verfolgt, aber uns allen war Lijana ein Begriff. Auch deshalb war es so spannend sie zu treffen. Zicke oder Heldin - wie würde unser Eindruck von Lijana sein?
Die St. Georg Schule ist ein Neubau mit gemütlichen Sitzecken. In so einer haben wir auf Lijana vor ihrem Auftritt am Abend gewartet. Ihr fröhliches Lachen war das erste, was wir von ihr gehört haben. Und dann kam sie durch die Tür: groß und schlank, voller Energie, gut gelaunt und mit gemütlichen Sneakern, die sie später für die Bühne gegen edlere Stiefeletten eintauschte. Und noch was: Lijana riecht gut! Leider haben wir nicht nach ihrem Parfum gefragt. Aber wir hatten ja auch wichtigere Fragen. Lijana hat sich gleich neben Melina gesetzt und uns das du angeboten. So macht es Spaß - so wird aus einem geplanten Interview ein richtig schönes Gespräch.
"Es hat gedauert, bis ich mir selbst glauben konnte, was ich auf der Bühne erzähle"
Hallo Lijana. Du hast Mathe auf Lehramt studiert und bist in LA vor Heidi Klum über Catwalks gelaufen. Bei GNTM wurdest du zuerst gefeiert und dann gehasst. Über das schlimmste Tief in deinem Leben hast du ein Buch geschrieben. Der Umschlag ist schwarz - deine Webseite ist rosa. Es sind so viele Gegensätze in deinem Leben - wer bist du denn wirklich?
Ich glaube, tatsächlich macht mich das alles zu mir. Vor GNTM habe ich mich sehr einseitig gesehen. Ich dachte immer, ich bin dieser super positive, lebensfrohe Mensch. Aber meine Erfahrung bei GNTM hat mir gezeigt, da ist noch viel mehr: Da ist ein positiver Mensch mit Tiefgang, aber auch mit Tiefpunkten. Ich glaube, das ist so menschlich, das geht uns doch allen so, oder? Wir machen doch alle so unterschiedliche Lebensphasen durch. Und es darf auch mal alles schwarz sein. Das ist die Botschaft, die ich raussenden möchte: Nicht nur es ist alles gut und lieb dich, sondern es gibt auch mal Momente, da zweifelst du an dir selbst. Aber auch die machen dich stärker und danach bist du ein Mensch, der noch mehr zu sich selbst gefunden hat.
Was hat dir in den schweren Zeiten die Kraft gegeben weiterzumachen?
In erster Linie meine Familie, die mich aufgefangen hat, als es am allerschlimmsten war. Die mir auch professionelle Hilfe gesucht hat, als ich noch das Mindset hatte: Ich bin es nicht wert, dass man mir hilft. An zweier Stelle steht der Glaube an mich selbst: Hey ich werde das schaffen, auch wenn ich da jetzt gerade nicht dran glauben kann. Bei meinen allerersten Schulbesuchen 2020 stand ich mit der gleichen Botschaft auf der Bühne wie heute, nur mit dem Unterschied dass ich mir damals selbst noch nicht geglaubt habe, was ich da so erzähle zum Thema Selbstliebe und Selbstwert. Es hat bestimmt 2 Jahre gedauert, bis ich mir das selber glauben konnte, was ich auf der Bühne erzähle. Und als dritte Instanz für mich unhfassbar wichtig: der Glaube zu Gott. Ich bin christlich und sehr gläubig. In den schwersten Zeiten kann dich manchmal nichtmal deine Familie begleiten. Es gibt so Themen, die musst du mit dir selbst ausmachen. Und wenn du da so ganz alleine bei dir zu Hause sitzt und da einfach nochmal reingehen musst in den Schmerz und gucken musst: Wie heile ich jetzt davon? Da zu verstehen: Ich bin aber nicht alleine. Da ist noch jemand für mich da. Das hat mir unfassbar viel Kraft gegeben.
Das Buch, das du geschrieben hast, heißt "Du hast den Tod verdient". Warum so ein krasser Titel?
Weißt du, die Leute sagen immer, der Titel ist so heftig. Aber das heftige ist: Als das zu hundertfach unter meinen Postings stand, da fand das gar keiner krass! Nicht nur der Titel, auch 90 Prozent der Überschriften von den Kapiteln sind Hassnachrichten, die ich bekommen habe, teilweise superharte. Und die Leute kommen zu mir und sagen Wow, das ist viel zu heftig. Und dann sag ich: Ja, aber das ist Realität. Ich kann es nicht schön reden, wie es damals war und ich glaube, es ist wichtig, dass die Leute auch damit konfrontiert werden und sich denken: Wow, das geht zu weit. Weil das ging ja auch zu weit!
Wie ging es dir selbst, als du für das Buch nochmal in all diese negativen Kommentare eintauchen musstest?
Das Buch war wie eine Therapie für mich. Und jeder, der Therapie gemacht hat, weiß wie hart das ist. Also Therapie bedeutet auch ganz tief wieder reinzugehen in die Punkte, wo du am verwundbarsten warst und das gefühlt alles nochmal zu durchleben. Ich bin dadurch unfassbar stark geworden. Und womit ich gar nicht gerechnet hatte: schon seit meiner Kindheit gibt es eine Sache, die hatte ich nie bewusst wahrgenommen, aber die hat sich durch mein Leben gezogen wie ein roter Faden und das war Rassismus. Die Momente, wo ich, vielleicht auch um mich selbst zu schützen, gesagt habe: Ach, das war doch gar nicht so schlimm. Die nochmal aneinandergereiht zu sehen, boah das war krass, dass mich das Thema Hass mein Leben lang begleitet hat. Das tat unfassbar weh, hat mich aber auch sehr sehr stark gemacht.
Welche Rückmeldungen hast du für dein Buch bekommen?
Tatsächlich - und das meinen die Menschen gar nicht böse - aber dass man es von mir nicht erwartet hätte, dass es so gut ist. Das ist so ein Vorurteil, mit dem ich zu kämpfen habe, einfach auch weil ich bei GNTM war und weil ich halt dieses Model bin. Aber ich durfte für das Buch die besten Expertinnen und Experten auf dem Gebiet Cybermobbing interviewen. Dieses Buch hat so viel Substanz. Die meisten Menschen hätten mir so viel Tiefgang aber wohl nicht zugetraut...
"Mein Social Media Account ist wie mein Wohnzimmer - ich muss nicht jeden reinlassen"
Wenn du an Schulen unterwegs bist, erzählen dir da Schülerinnen und Schüler auch was sie selbst erleben?
Durch die Recherche für mein Buch weiß ich über die Zahlen bescheid - dass wir über 5 Millionen Betroffene von (Cyber-)Mobbing sprechen und dass davon viele in den Schulklassen sitzen. Deswegen wollte ich ja in die Schulen gehen. Es ist jedes Mal so, auch hier an der St. Georg Schule, dass nach den Vorträgen Schüler*innen kommen und sagen: Mir geht es genau so wie du beschrieben hast. Und das sind so Momente, die sind so schön und traurig zugleich, weil ich muss ja auch wieder gehen und ich hoffe, dass sie aufgefangen werden. Aber ich versuche, ihnen Mut zu machen. Wenn ich als Betroffene mit so viel Selbstbewusstsein da stehen kann, dann erkennen sie hoffentlich: "Vielleicht darf ich ja auch selbstbewusst sein!"
Welche Tipps gibst du ihnen?
Ich sag immer, mein Social Media Account ist wie mein Wohnzimmer: Ich darf selbst entscheiden, wen ich da reinlasse und wen nicht. Also ist mein erster Tipp: Macht eure Kanäle privat, geht die Freundesliste durch und überlegt: Wem möchte ich Zugang gewähren? Ich muss nicht allen, die ich kenne, meine Bilder zeigen. Dann: konsequent blockieren und melden, wenn Hasskommentare kommen. Und auch löschen! Man denkt heutzutage so ein bisschen: Ich muss ja auch kritikfertig sein... Nein! Nicht zu allem was ich tue, muss ich mir auch Kritik anhören! Und ich darf das rauslöschen, wenn mir die Kommentare nicht gut tun. Leider gibt es aber keinen Aus-Knopf für Cybermobbing. Deshalb ist es superwichtig, das Selbstbewusstsein von jungen Menschen so zu steigern, dass sie resilienter sind. Das ist meine Message: Wir haben leider nicht die Kontrolle über das Tun von anderen, aber wir haben die Kontrolle darüber, wie wir selbst über uns denken!
Wie kann man als Familie oder Freund jemanden unterstützen, der unter Cybermobbing leidet?
Es gibt viele tolle Hilfen, an die man sich wenden kann, auch als Angehöriger. Zum Beispiel die Nummer gegen Kummer. Oder Juuuport - das ist eine Beratungs-Webseite von jungen Menschen für junge Menschen. Aber man kann natürlich auch an Vertrauenslehrer herantretenan. Und den Betroffenen das Gefühl geben, nicht alleine zu sein und ihnen sagen, was man an ihnen gut findet. Als Opfer verliert man sich schnell in Selbstzweifeln: Haben die vielleicht Recht mit dem was sie sagen und ich bin einfach scheiße und nichts Wert? Das sind Gedanken, die man nicht unbedingt mit den Eltern oder Freunden teilt.
"Niemand, der glücklich und zufrieden ist, würde jemand anderen aufs heftigste fertigmachen"
Würdest du sagen, dass du es bereust, bei GNTM mitgemacht zu haben?
2020 hätte ich auf die Frage geantwortet: Ja, das war das schlimmste, was ich je gemacht habe! Mittlerweile würde ich das nicht mehr so sagen, weil diese Erfahrung mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin. Jetzt hier in der Schule zu stehen - das wäre alles nicht so gekommen, wäre GNTM nicht gewesen. Vielleicht wäre ich als Influencerin und als Model in der Welt unterwegs, aber tastächlich habe ich hier eine Bestimmung gefunden, die mich erfüllt und das war vorher nicht der Fall. Jeder von uns trägt sein Päckchen und jeder geht durch schwere Zeiten. Wenn man dann guckt: "Okay, was kann ich daraus ziehen und wie kann ich vielleicht anderen damit helfen?" Dann fällt es viel viel leichter, diese negativen Erfahrungen anzunehmen.
Wie hast du dich gefühlt, als du erfahren hast, dass du bei GNTM dabei bist, und wie als du ausgestiegen bist?
Ich war in der 15. Staffel von GNTM und ich hatte das verfolgt seit der allerersten Staffel. Ich war Fan seit Sekunde 1. Heidi hatte damals was möglich gemacht, was vorher undenkbar gewesen ist. Ich meine, ich komme aus Kassel, das ist zwar vielleicht größer als Bad Aibling aber trotzdem noch keine Modemetropole. Dass sich dahin mal ein Modelscout hinverirrt und mich entdeckt - das war undenkbar. Das war also ein Traum, der 15 Jahre lang in mir geschlummert hat. Das ist eine sehr sehr lange Zeit - meine ganze Kindheit, meine ganze Jugend. Dann dabei gewesen zu sein! Und nicht nur das. Ich war auch noch eine Favoritin der Show! Ich meine, wie irre! Also wirklich, das ist echt absurd!
Dann aber nach Hause zu kommen und zu merken, wie sich dieser Traum in den schlimmsten Alptraum verwandelt... Ich stand unter Polizeischutz! Also es ging auch wirklich darum, ob ich das überlebe bis zum Finale. Das ist von so weit oben zu so weit unten - das packt man gar nicht. Es ist schwierig für mich, diesen Moment des Ausstiegs so wirklich emotional zu fassen, weil irgendwie war es der Tiefpunkt, aber irgendwie dann doch auch so ein Moment, der unfassbar von Stärke gezeugt hat. Das war ein riesen Opfer, das ich gebracht habe. Ich meine, ich hätte ja auch gewinnen können. Und es war ja auch so lange mein Traum gewesen. Da bin ich definitiv über meine Grenzen hinausgewachsen.
Begünstigen Formate wie GNTM Cybermobbing?
Cybermobbing hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Diese sekündlichen Hassnachrichten und Bedrohungen. Ich habe in den Spiegel geguckt und diesen Menschen nicht erkannt, den ich da gesehen habe. Das hat natürlich auch mit der verzerrten Wahrnehmung zu tun, wie ich bei GNTM dargestellt wurde. Für mein Verständnis begünstigen Formate wie GNTM definitiv Cybermobbing, einfach schon dadurch, dass die Macher nicht genug getan haben, um das zu verhindern. Unter meinen Profilen standen teils hochgradig rassistische Kommentare. Pro7 hätte zeigen können: "Wir machen was dagegen. Wenn ihr bei uns sowas kommentiert, landet´s direkt bei der Staatsanwalschaft." Alleine dass sie das nicht getan haben, macht sie zumindest zum Multiplikator von Hass im Netz.
Haben sich andere Models bei dir gemeldet, die das gleiche erlebt haben?
Ja, viele tatsächlich, auch aus anderen Staffeln. Natalie Volk z.B. hatte 7 Jahre vor mir bei GNMT mitgemacht. Auch sie war so negativ dargestellt worden und sie war damals erst 16! Sie hat echt heftige Sachen erlebt und stark unter Hass leiden müssen. Und sie hat zu mir gesagt: "Lijana, nachdem ich dein Youtube Video gesehen habe, war das erste Mal, dass ich mich wieder im Spiegel angucken konnte." Und das nach 7 Jahren! Das war für mich so ein Gänsehautmoment, zu verstehen, was das auch für andere Kandidatinnen bedeutet, dass ich damit so an die Öffentlichkeit gehe. Das hat mir viel Mut gemacht, dass alles richtig ist, was ich tue und egal was kommt, dass jeder Kampf es wert ist.
Was ist eine Eigenschaft an dir, von der du froh bist, dass sie immer bei dir geblieben ist?
Ich bin so froh, dass ich die Liebe zum Mensch behalten habe. Weil wenn du sowas erlebst - da gab es Momente, da hab ich alle verflucht und gedacht, der Mensch ist einfach schlimm. Wäre ich aber in dieser Haltung geblieben, könnte ich jetzt nicht hier stehen. Wenn ich vor den Schüler*innen spreche, dann weiß ich, dass auch unter denen welche sind, die solche Kommentare schreiben! Aber jetzt weiß ich auch: Jemand der sowas schreibt, dem geht´s nicht gut! Weil niemand, der glücklich und zufrieden ist, würde andere aufs heftigste fertigmachen! Dass ich das so erkannt habe und die Liebe zum Menschen und zum Leben nicht verloren habe, das ist das schönste und wichtigste für mich.
Unser Fazit
Das Interview und die anschließende Lesung haben mich sehr beeindruckt. Lijana hat über das schwere Thema Cybermobbing mit einer unglaublichen Leichtigkeit gesprochen und das nach ihren Erfahrungen.
Melina
Ich fand es sehr ermutigend Lijana und ihre Geschichte kennenzulernen. Ich habe viele Sachen über Cybermobbing erfahren, die mir vorher nicht bewusst waren.
Audrey
Das Interview mit Lijana hat mir viel Spaß gemacht. Sie ist eine super liebe, sympathische Person und mich hat ihre Geschichte sehr berührt. Love always wins!