
Stufenweise Höhenangst | Foto: Emely
Höhenangst - (m)ein Selbstversuch
In der Coronazeit habe ich viel Langeweile, aber ich habe auch viele Ideen. Und so dachte ich mir, dass man ja mal versuchen könnte, seine Ängste, die einem irgendwie das Leben schwer machen, zu besiegen. Und angefangen habe ich mit meiner Höhenangst...
Wir haben einen Garten, in dem ein Klettergerüst mit 6 Stufen steht. Ich habe mich wirklich noch nie überwunden, weiter als bis auf die 3. Stufe zu kommen. Meine kleine Schwester kommt schon ewig ins Haus und berichtet, was sie alles auf dem Klettergerüst kann, nämlich sowas wie: sich von der 3. Stufe rückwärts kopfüber runter hängen zu lassen oder über den obersten Balken drüber zu steigen. Mir ist schon klar, dass sich viele denken, das ist doch nicht schwer! Aber für mich ist das eine große Hürde! Deshalb habe ich mir vorgenommen, eine Woche lang, so gut es geht, zu üben. Und dabei berichte ich euch täglich, was ich geschafft habe. Ich bin selbst gespannt, wieviel das sein wird!
Montag
Ich habe mir Hilfe gesucht. Heute hat mir meine kleine Schwester dabei geholfen, mich an den Beinen kopfüber herunterhängen zu lassen! Noch nicht von der 3. Stufe, wie bei ihr, sondern erst einmal von der 2. Sie musste mich zuerst festhalten, dass ich es schaffe. Wir habe es immer und immer wieder geübt. Am Abend bin ich dann nochmal alleine rausgegangen mit dem Gedanken: „Wie peinlich. Meine kleine Schwester muss mich halten, dass es funktioniert.“ Also hab ich es nochmal alleine probiert. Als ich mich langsam nach hinten ließ, zitterte ich etwas. Ich stellte mir die ganze Zeit die Frage: „Wovor hast du Angst? Wenn du dir weh tust, stehst du wieder auf und im schlimmsten Fall blutest du.“ Also schloss ich ganz kurz meine Augen und lehnte mich nach hinten... Und dann konnte ich es! Ich konnte mich alleine von der 2. Stufe kopfüber herunterhängen lassen! Ein echter Erfolg! Wo das geschafft wäre, nehme ich mir als nächstes die 3. Stufe vor. Ja, genau - die Stufe, die mir schon so sehr hoch vorkommt! Das ist mein Ziel für morgen!
Dienstag
Heute Vormittag ging es noch nicht gleich los, da wir zum einen etwas spät aufgestanden sind und zum anderen im Haushalt mithelfen mussten. Doch so gegen Mittag haben wir wieder angefangen. Zum Aufwärmen hängten wir uns von der 2. Stufe hinab. Dann sollte ich es von der 3. versuchen. Ich dachte mir: "Gut, ich versuch´s - was kann schon passieren." Ich wollte mich sogar allein runterlassen, aber es ging nicht. Es war wie eine Sperre! Sobald sich die Welt für mich umdrehte, ging es es einfach nicht. Meine kleine Schwester musste mich also schon wieder festhalten, weil ich es alllein nicht schaffte. War ich echt zu feige, oder wie? Das dachte ich zumindest. Doch jetzt, wo ich das alles aufschreibe, wird mir klar: "Es ist nicht schlimm, sich von seiner kleinen Schwester was beibringen zulassen! Zum einen zeigt es, dass auch Jüngere Sachen können und zum Anderen hilft es deiner Schwester, denn sie kann stolz darauf sein, dass sie mir etwas beibringen kann."
Mit ihrer Hilfe kann ich mich jetzt tatsächlich von der dritten Stufe runterhängen lassen! Wenn ich dann da hänge, spüre ich, wie mein Kopf den Boden berührt. Und auch mit meinen Händen komm ich auf den Boden. Das beruhigt mich! Und ich spüre durch das viele Training schon, dass sich an meinen Beinen eine Muskulatur aufgebaut hat. Jetzt fällt es mir nicht mehr schwer, mich auch allein von der dritten Stufe hängen zu lassen! Und was macht meine Schwester? Die hat es in der Zwischenzeit doch tatsächlich geschafft, sich von der 4. Stufe zu hängen zu lassen! Für heute reicht´s mir. Ich gehe Abend essen. Morgen ist ja auch noch ein Tag.
Mittwoch
Die zwei Tage Training haben Spuren hinterlassen: Vom vielen Runterhängen lassen, habe ich aufgeriebene Kniekelen. Vielleicht bin ich ein Jammerlappen, aber es brennt halt ganz schön, wenn noch weitere Reibung dran kommt. Trotzdem habe ich mich davon nicht unterkriegen lassen! Ich habe weiter gemacht. Erst mal habe überprüft, ob ich es noch kann und ja es ging noch. Da wollte ich es gleich von der 4. Stufe probieren, aber es ging nicht. Zuerst habe ich noch nicht einmal geschafft, mich da drauf zu setzen...
Aber nach längerem Rumprobieren ging es dann doch. Ich saß also da oben und hatte schon etwas Angst, mich auch nur zu bewegen. Doch auch dies habe ich schließlich überwunden und mit Hilfe meiner Schwester angefangen, mich etwas zurückzulehnen. Etwas. Ich brauchte eine Pause. Aber jetzt gab es ein neues Problem: Wie komm ich wieder runter? Das schien so unmöglich, dass ich erst einmal einen Lachflash bekam! Fragt nicht, wieso... Manchmal bekomm ich in überfordernden Situationen einfach Lachflashes. Nur, in diesem Moment war das tatsächlich ein Problem, weil ich fast runter gefallen wäre. Nachdem ich mich wieder etwas beruhigt hatte, versuchte ich, zwischen den Stufen durch zu rutschen, war aber wohl zu blöd dafür und rieb mir auch noch den Rücken auf. Auch der restliche Tag fand für mich am Klettergerüst statt. So leicht gebe ich nicht auf!
Donnerstag
Es war ein Tag ohne Klettergerüst. Denn meine Mutter hat mich herausgefordert!
Wir haben nämlich auch noch eine Kletterstange im Garten und meine Mutter fragte mich, ob ich einen Purzelbaum an der Stange kann. Ich antwortete: "Nein." Sie gab ein wenig damit an, dass sie es konnte, aber das juckte mich nicht. Doch später sagte sie, dass sie auch einen Kopfstand auf dem Boden kann. Ich wollte sehen, ob ich es auch kann, denn sie behauptete, dass es nicht schwer sei, wenn man eine Rolle kann. Und da bemerkte ich: Ha! Ich kann noch nicht mal eine Rolle! Peinlich, ich weiß. Also hab ich den restlichen Tag damit zugebracht, eine Rolle zu können. Am Ende war ich erfolgslos und dachte: "Vielleicht ist mein Problem, dass sich die Welt kurz auf den Kopf stellt!" Wer weiß das schon. Ich bin deprimiert, da es nicht geklappt hat und auch peinlich berührt deswegen. Ob das wohl das Ende meiner Erfolge ist?
Freitag
Heute bin ich sehr spät aufgestanden. Das war vielleicht ganz gut. Denn heute war ein sehr erfolgreicher Tag!
Ich habe mich überwunden, mich an der 4. Stange am Klettergerüst runterhängen zu lassen! Mit Hilfe und nicht lange und auch noch nicht ganz angelehnt, aber ich bin wieder etwas weitergekommen! Und es gibt sogar noch eine zweite gute Neuigkeit: Ich kann eine Rolle!
Es lief ungefähr so ab: Der Tag begann mit Frühstück und Haushalt. Dann sind meine Schwester und ich an die Stangen gegangen. Inzwischen nennen wir das Runterhängen Stangen-sit-ups. Denn an der 3. Stufe machen wir tatsächlich sit-ups! Als wir 5 sit-ups hinter uns hatten, hat diesmal meine Schwester einen Lachflash bekommen. Sie behauptete, ich hätte sie doof angesehen... Tja. Doch durch den Lachflash rutschte sie von der Stange ab! Weh getan hat sie sich nicht. Ich sag dazu nur: "Karma!"
Danach haben wir die 4. Stufe versucht und, wie ich euch schon verraten habe, es hat halb geklappt. In dem Moment, in dem sich die Welt auf den Kopf stellte, war mir schon sehr unwohl und ich zog mich auch sofort wieder hoch, doch kurz hatte der Ausblick was!
Danach spielten wir mit der Familie etwas anderes. Doch später wollte meine Schwester unbedingt Rollen üben und ich ließ mich überreden. Beim ersten Versuch, verriß ich mich im Genick und hatte keine Lust mehr. Doch dann trieb mich der Ehrgeiz wieder an. Vorsichtig legte ich meinen Kopf auf und tatsächlich - mein Kopf rutschte unten durch und fast aus Versehen hatte ich eine Rolle gemacht. Da war ich total überrascht. Doch interessiert hat es keinen. Naja, sowas blende ich dann einfach aus.
So sind der Tag und auch die Woche zu Ende gegangen. Ich persönlich finde, ich hätte mehr schaffen können. Bezüglich Höhe ich kann jetzt aber auf die 4. Stufe gehen. Das ist ein Fortschritt! Ich denke, ich versuche weiter zu trainieren und auch noch andere Ängste zu überwinden. Vielleicht gibt es dann ja auch wieder was zu erzählen. Bis dahin sag ich bye!