Ich habe Schulden

Das Smartphone, das ich haben wollte - das alle haben wollten - hätte über 1.000 Euro gekostet. Wer kann sich das leisten? Aber bei TikTok hatte ich eine Werbung für ein echtes Schnäppchen gesehen: Nur 19 € im Monat! Das ging locker vom Taschengeld. Verzichte ich halt auf ein neues Shirt oder Snacks vom Pausenverkauf, dachte ich mir... und unterschrieb den Vertrag. Der hatte mehrere Seiten mit viel klein gedrucktem Text. Hast du sowas schon mal gelesen? Ich nicht - und den Fehler zahle ich noch heute ab... 

Der Vertrag, mit dem das Handy für 19 € herging, kostete also monatlich auch 19 € - allerdings nur während der ersten 6 Monate. Danach waren 59 € pro Monat fällig! (Plus hohe Kosten für zusätzlich verbrauchtes Datenvolumen.) Zuerst habe ich das gar nicht bemerkt, denn auf meinem Konto war nicht genug drauf, das die das hätten abbuchen können. Nach drei Monaten ohne zahlen zu können, haben sie das Handy aber gesperrt. Und sie haben mit rechtlichen Schritten gedroht! F***! Also wollte ich mein Pro zurückgeben und den Vertrag kündigen. Aber das ging nicht mehr. Nochmal f***. Du kannst einen Handyvertrag zwar bis 14 Tage nach dem Kauf widerrufen - dann hast du ihn quasi gar nicht abgeschlossen und er ist ungültig - aber kündigen ging bei mir erst nach 2 Jahren!

Und jetzt kommt´s: Weil ich den Vertrag nicht erfüllt hätte, sollte ich die Gesamtrechnung für die 2 Jahre bezahlen! Bis dahin war mir gar nicht klar, wieviel das war: 19 € fürs Handy plus 6mal 19 für die ersten 6 Monate und 18mal 59 für die restlichen - macht 1.195 €! Ein paar Euro hatte ich ja schon gezahlt, aber den ganzen Rest sofort überweisen?! Keine Chance...

Wie sowas weitergeht? Schulden, Anzeige, Schufa-Eintrag und somit Probleme, einen neuen Vertrag zu bekommen. Aber dann habe ich mir Hilfe geholt. Und das kann ich nur jedem empfehlen, dem dasselbe oder was ähnliches passiert ist!

Wer mir geholfen hat? Der Stefan Kessler vom Stadtjugendring Rosenheim, eine Art kostenloser Schuldenberater für Jugendliche und junge Erwachsene. Zu ihm gleich mehr.

Natürlich könnt ihr auch einiges besser machen als ich. Zum Beispiel euch schon früher Hilfe holen. Oder bei einem Vertrag genauer hinschauen. Jetzt bin ich da vorsichtiger geworden. Aber die Lektion war teuer.

Und jetzt muss ich noch was beichten: Mich gibt es nämlich gar nicht. Ich habe mich erfunden. (Und auch meinen Bruder Jona.) Aber eigentlich gibt es mich eben doch. Denn den Stefan Kessler, den gibt es. Und der kennt viele junge Leute wie mich. Warum ich mich dann erfunden habe? Weil es gar nicht so leicht ist, jemanden zu finden, der von seinen Schulden erzählen mag. Das sind ja meist Geschichten, wo man was falsch gemacht hat oder auf was reingefallen ist, wo einen eine Sucht reingetrieben hat oder einfach der Wunsch nach etwas so groß und dringend war, dass alles andere erstmal egal schien.

Also sei bitte nicht sauer, sondern lies weiter und nimm dir die Tipps mit, die Stefan Kessler mir für alle aROund Leser*innen mitgegeben hat!

Stefan Kessler hat zugesagt, mir ein Interview zu geben. Ich treffe ihn in seinem kleinen gemütlichen Büro im 2. Stock beim Stadtjugendring. Das ist links am Lokschuppen Rosenheim. Stefan holt mich am Eingang ab. Beim Treppensteigen erzählt er mir, dass der Drucker im Erdgeschoss steht und er manchmal ins Schnaufen kommt, wenn er feststellt, dass beim Drucken was schief gelaufen ist und er nochmal rauf und dann wieder runter und dann wieder rauf muss. Stefan ist nett. Und in seinem Büro steht eine gemütliche Couch. Da darf ich mich drauf setzen.

Hallo Stefan. Wofür geben junge Leute ihr Geld aus?

Ou, das ist natürlich ganz unterschiedlich: die einen für Klamotten, die anderen für Tabakwaren und Alkohol, wieder andere fürs Kino. Meist sind es Konsum-Sachen. Und es hängt auch vom Alter ab. Das erste Taschengeld wird meist für Süßigkeiten und Sammelbilder ausgegeben. Dann kommen Guthaben für Online-Stores oder In-App-Käufe bei Handy-Games. Und später Abos bei Steaming-Diensten. Anders schaut es bei denen aus, die schon selbst Geld verdienen und vielleicht fixe Ausgaben haben für Miete, Heizung, Strom und Versicherungen.

In-App-Käufe bei Handy-Games - das sind doch eher kleine Beträge, oder?

Erstmal vielleicht ja, aber sie sind trotzdem eine Gefahr. Neulich habe ich ein junges Paar beraten. Die haben für Skins und Skills Geld ausgegeben und sind jetzt bei Klarna hoch verschuldet. Das passiert leider schnell. Wenn ich aktuell kein Geld auf dem Konto habe, kann ich ja trotzdem was bestellen und es erst im nächsten Monat bezahlen. So verliere ich leicht den Überblick, wieviel ich nachträglich noch bezahlen muss.

Zur Taschengeld-Tabelle

Kann man Schulden machen, wenn man noch nicht 18 ist?

Man darf noch keine Verträge abschließen. Aber natürlich kann man sich Geld leihen und dann Schulden bei den Eltern oder bei Freunden haben. Deshalb berate ich auch jüngere Jugendliche. 

Du hast ja gerade schon von Klarna gesprochen. Was ist das eigentlich genau?

Firmen wie Klarna und Paypal wickeln die Bezahlgeschäfte für Händler ab. Ich kaufe etwas und Klarna bezahlt für mich beim Händler. Dann holt sich Klarna das Geld von mir zurück. Dafür habe ich eingewilligt, dass sie das Geld von meinem Konto abbuchen. Wenn da nicht genug drauf ist, muss Klarna schauen, wie es sein Geld eintreibt. Für die Händler ist das natürlich praktisch. Deshalb bezahlen sie für den Service. Relativ neu ist, dass Klarna (genauso wie Paypal und teils auch große Online-Versandhändler) mir die Möglichkeit bietet, erst später zu zahlen oder auch in Raten.

Klingt ziemlich praktisch - wenn ich gerade pleite bin, zahle ich halt später.

Ja, aber ob ich das später zahlen kann, das ist dann die Frage. Klarna gibt mir quasi einen Kredit. Aber nicht, weil die so nett wären. Die machen ein gutes Geschäft. Ein Geschäft damit, dass ich den Überblick über meine Finanzen verliere und mich verschulde.

Werden da auch Zinsen fällig?

Selten. Das ist eher bei Dispo-Krediten von der Bank so - da fallen oft hohe Zinsen an. Auch bei ebay kann man jetzt seine Käufe gebündelt erst am Ende des Monats zahlen. Das alles sollen Anreize sein, damit man mehr kauft und mehr Geld ausgibt. Denn viele kommen mit der Kontrolle nicht klar. Kein Problem für die, die den perfekten Überblick über Ihre Einnahmen und Ausgaben haben.

Wie geht das dann weiter, wenn ich nicht bezahlen kann?

Zuerst kommt eine Mahnung. Die kostet meist schon eine kleine Mahngebühr. Insgesamt sind es 3 Mahnungen und die werden immer teurer. Wenn ich dann noch immer nicht gezahlt habe, übernimmt ein Inkasso-Büro und das geht auch gerichtlich gegen mich vor. An diesem Punkt wird es richtig teuer, sehr ungemütlich und man kommt quasi nicht mehr aus. Gerichtlich bestätigte Schulden bleiben 30 Jahre bestehen!

Das heißt die lassen nicht locker und bekommen am Ende immer ihr Geld. Oder?

Nicht unbedingt. Über 90% der Forderungen werden früher oder später bezahlt. Totalausfälle sind ungefähr 10%. Damit rechnet Klarna aber von vorneherein. Sie verdienen sogar dann gut, wenn sie auf den Rechnungen der 10% sitzen bleiben.

Wenn jede*r zehnte nicht zahlt, könnte ich dann nicht auch...?

Ich kann es niemandem empfehlen. Um von deinen Schulen befreit zu werden, musst du eine Privatinsolvenz durchmachen. Das heißt, dass du drei Jahre lang quasi nichts besitzen darfst, nur das Nötigste zum Leben. Alles darüber wird weggepfändet. Und am Ende musst du auch noch Kosten und Gebühren für die Privatinsolvenz bezahlen.

Verstehe. Was sind dann deine Tipps?

 > TIPP 1:
Wenn du etwas kaufen willst, stell dir immer zuerst die Frage: Kann ich mir das leisten? Und schlaf auch eine Nacht drüber! Manchmal fühlt es sich so an, als ob man etwas unbedingt haben muss und am nächsten Morgen merkt man, dass man auch darauf verzichten kann.

 > TIPP 2:

Verschaffe dir einen Überblick über deine Einnahmen und Ausgaben. Dafür gibt es auch gute Apps, wie der "VSB Taschengeldplaner" oder der "Finanzchecker" von der Sparkasse.

 > TIPP 3:

Wenn du einen Vertrag unterschreibst, lies das Kleingedruckte! Ich weiß - das wirkt erstmal abschreckend. Aber es sind eigentlich immer 3 Dinge wichtig: Was muss ich zahlen? Wie lange läuft der Vertrag und verlängert er sich automatisch? Wann und wie kann ich kündigen? Das ist nämlich nicht immer gleich - manchmal reicht eine E-Mail, aber auch die muss man an die richtige Adresse schicken. 

 > TIPP 4:

Wenn es dir schwerfällt, deine Finanzen im Blick zu haben, dann kannst du z.B. Prepaid-Karten fürs Handy nutzen. Wenn die leer sind, geht nichts mehr. So kannst du keine Schulden machen.

 > TIPP 5:

Wenn was schief gelaufen ist, nicht den Kopf unter die Decke stecken! Das problem wegschieben lohnt sich nicht. Es wird eigentlich immer nur noch teurer. Komm zu mir und wir schauen gemeinsam, wie ich dir helfen kann! 

Das ist nett, aber kostet das was?

Nein. Das ist ein kostenloser Service des Stadtjugendrings Rosenheim für Jugendliche und junge Menschen bis zum Alter von 27 Jahren.

Und wie kannst du helfen?

Dein Beispiel vom Anfang mit dem Handyvertrag war gut - das passiert vielen. Ruf mich am besten an, wenn die erste Mahnung da ist. Man kann versuchen, mit den Telefongesellschaften zu verhandeln - z.B. das Handy zurückgeben und dann weniger zahlen, eine Ratenzahlung vereinbaren oder einen Vergleich aushandeln, bei dem dir vielleicht ein Drittel der Kosten erlassen wird.

Klingt gut! Wie erreiche ich dich?

Zum Beispiel anrufen: 0176 21 40 82 54.

Oder ein E-Mail schreiben an kessler@stadtjugendring.de. Dann machen wir einen Termin aus - das geht bei mit auch mal am Abend. Ich helfe schon bei kleineren Problemen und bei mir sind die Wartezeit aktuell nicht so lang.