
Die Farben der Ukraine
Russlands Angriffskrieg - Ist die Welt machtlos?
Es herrscht Krieg in Europa. Nach der längsten Friedensphase Europas aller Zeiten gab Russlands Präsident Putin vorgestern, am 24. Februar, den Befehl für einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Gestern war ich sprachlos über die Geschehnisse, die nicht einmal 1.000 Kilometer von uns entfernt passieren. Heute bin ich immer noch fassungslos, versuche aber meine Gedanken in Worte zu fassen und das Geschehene einzuordnen. Die ganze Welt scheint fassungslos. Ist sie vielleicht auch machtlos?
Es wirkt wie ein schrecklicher Albtraum. Die Bilder, die seit gestern um die Welt gehen, lassen die Menschen in einer ungläubigen Ohnmacht zurück, die ich zumindest so noch nie erlebt habe. Ebenso wie ich mit meinen 20 Jahren noch keinen unmittelbaren Krieg miterlebt habe, was ein unermessliches Privileg darstellt, wie mir in den letzten Tagen umso mehr bewusst wurde. Man fühlt sich machtlos, wenn man sich die Berichte im Fernsehen ansieht und bekommt gleichzeitig das mulmige Gefühl, dass es auch vielen Politikern so geht, selbst wenn diese versuchen zu helfen.
Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock war zu Gast in der Sondersendung „Was nun?“ im ZDF, in der sich ZDF-Chefredakteur Peter Frey übrigens meiner Meinung nach sehr arrogant und unhöflich gegenüber Frau Baerbock verhalten hat, indem er ihr mehrfach scharf ins Wort gefallen ist und in seinen Fragen immer wieder auf parteipolitische Themen abzielte, welche der Außenministerin in dieser brenzligen Lage sichtlich egal und unwichtig schienen. Sie berichtete in dieser Sendung davon, dass Putin und seine Minister die anderen Länder „eiskalt belogen“ haben und jegliche Glaubwürdigkeit und Basis für diplomatische Beziehungen mit dem Angriff auf die Ukraine zerstört hätten. Sie machte sehr transparent klar, dass Deutschland und andere NATO-Staaten alles tun würden, was in ihrer Macht stehe, um einerseits der Ukraine zu helfen und andererseits Russland die Konsequenzen von Putins Handeln deutlich zu machen. Auf mich wirkte das zwar sehr bemüht, aber irgendwie auch hilflos.
Denn als Konsequenz sind wirtschaftliche Sanktionen geplant, die aber nicht einmal vollends ausgeschöpft werden, indem man Russland aus der SWIFT, einer Art weltweiter Kommunikations- und Bankenstruktur, ausschließen würde. Dadurch bestehe die Möglichkeit, dass man sich selbst mehr schade als Russland, so Grünenpolitiker Jürgen Trittin im Interview des rbb. Die bereits beschlossenen Maßnahmen würden jedoch faktisch einer Blockade von SWIFT gleichkommen und hätten nicht die negativen Auswirkungen, die ein SWIFT-Ausschluss für unter anderem auch Deutschland nach sich ziehen würde, so Trittin weiter. Da stellt sich mir die Frage, was denn noch passieren muss, um solch einen Schritt zu gehen.
Eine Antwort darauf wäre natürlich der Angriff auf ein NATO-Mitglied, welcher das Inkrafttreten von Artikel 5 des Nordatlantikvertrags zur Folge hätte. Demnach würde ein solcher Angriff einem Angriff gegen alle NATO-Staaten gleichkommen und wenn das passieren würde, dann hätten wir einen weltweiten Krieg.
Doch ich finde, man kann schon die berechtigte Frage stellen, wieso Deutschland, wie viele andere Staaten auch, Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt. In einem solchen Fall von "Verteidigungswaffen" zu sprechen, ist natürlich Unsinn, da Waffen meiner Meinung nach nicht in Angriffs- und Verteidigungswaffen aufgeteilt werden können. Dazu kommt der desaströse Zustand der deutschen Bundeswehr. Wenn man einen ehemaligen Oberbefehlshaber der Bundeswehr fragt, ob sich Deutschland momentan gegen einen Angriff wie den in der Ukraine verteidigen könnte und dieser fast schon vor Ende der Frage entschieden „Nein!“ sagt, dann finde ich das erstens äußerst besorgniserregend und zweitens natürlich ein vorangehendes Problem dessen, warum man der Ukraine keine entsprechenden Güter zur Verfügung stellt. Weil man selber keine hat!
Wenn dann der ukrainische Präsident Selenskyj vor ein paar Tagen bei einem Telefonat mit dem österreichischen Kanzler erklärt, dass er nicht wisse, wie lange er noch am Leben sei, dann wird nur noch einmal mehr deutlich, dass Putin mit seinem Angriff nicht nur unzählige Menschenleben auf dem Gewissen haben wird, sondern auch, mit welcher Skrupellosigkeit dieser Krieg geführt werden soll. Von Menschen- und Völkerrecht kann hier leider überhaupt keine Rede mehr sein, finde ich. Putin spricht von der Entnazifizerung der Ukraine, was ein nur weiteres Beispiel von vielen für den Wahnsinn des Präsidenten des größten Landes der Erde ist, dem sein eigenes Land zu klein geworden scheint. Wie wirr und unglaubwürdig seine Aussagen sind, zeigt sich im Narrativ der „drogenabhängigen Nazi-Regierung“, welches er für die ukrainische Regierung verwendet, was wiederum im krassen Gegensatz zu seiner angeblichen Verhandlungsbereitschaft steht, die er in der gleichen Rede vergeblich zu verdeutlichen versuchte.
Ebenfalls in dieser Sendung kam in einem Interview der Journalist Roman Schell zu Wort, der für Dreharbeiten zur Zeit des Angriffs in der Ost-Ukraine war. Er schilderte, dass er morgens um 5 Uhr vom Lärm von Bombeneinschlägen geweckt wurde und seitdem auf dem Weg aus dem Land sei. Unterwegs habe er mit seinem Team (zu dem auch Psychologen zählen) zehn Kinder einer besonders bedrohten Ortschaft aufgenommen und versuche, sie aus dem Land zu bringen. Zum Zeitpunkt des Interviews befanden sie sich auf ihrer Flucht aus der Ost-Ukraine. Die Kinder mussten Eltern und Verwandte zurücklassen und waren in ständiger und furchtbarer Angst um ihre Angehörigen. Auf die Frage, wie es für die Gruppe weitergehe, antwortete er mit den Worten, er sei mit ortskundigen Menschen unterwegs und sie würden versuchen, nur über kleine Landstraßen voranzukommen. Jedoch könne er nicht mit Sicherheit sagen, ob sie nicht demnächst unter Beschuss geraten würden. Dieser Satz hat tief gesessen bei mir. Ein Journalist und sein Team sowie zehn Kinder könnten ins Visier der russischen Truppen geraten. Zivilisten. Es wird erneut deutlich, dass dieser Krieg viele Menschen, auch Unbeteiligte, das Leben kosten kann.
Deswegen ruht nun alle Hoffnung der Ukraine auf den NATO-Staaten. Was können sie mit ihren Sanktionen ausrichten? Lässt sich Putin überhaupt von solchen Maßnahmen beeindrucken? Und was folgt danach? Das sind Fragen, die momentan wohl sehr viele Menschen beschäftigen. Meine Gedanken sind bei allen Ukrainern und Ukrainerinnen, denen momentan ihr eigenes Land gewaltsam entrissen wird und bei allen, die Verwandte und Freunde im Land haben und sich um deren Wohl sorgen. Es bleibt zu hoffen, dass die mächtigsten Männer und Frauen der Welt den wohl mächtigsten Aggressor der Welt seit dem Zweiten Weltkrieg irgendwie in den Griff bekommen.