
Familienklischee? | Foto: aROund
- Info von Team aROund, Leonie E.
- Bereich
- Heimat
- Veröffentlicht
- 28.10.2024
Wir wurden adoptiert
Zwanzig 16-Jährige im Landkreis Rosenheim haben gerade einen Brief vom Jugendamt bekommen. Sie alle wurden adoptiert, zum Teil als sie Babys waren. Das heikle: nicht unbedingt alle von ihnen wussten das. Weil sie nun 16 Jahre alt sind, haben sie aber per Gesetz das Recht darauf, von ihrer Adoption zu erfahren. Adrian (14) und Laura (18) aus Brannenburg wurden selbst adoptiert und haben geholfen, diesen Brief zu schreiben.
Offiziell unterschrieben und abgeschickt haben den Brief Monika Heckel und ihre Kollegin Eva Götz-Huber vom Fachdienst Adoption im Kreisjugendamt Rosenheim. Darin steht zum Beispiel: "Zusammen mit uns kannst Du Dich über Deine persönliche Herkunftsgeschichte informieren. So kannst du z.B. Auskunft über die Situation deiner leiblichen Eltern zum Zeitpunkt Deiner Adoptionsfreigabe, die damaligen Umstände und das evetuelle Vorhandensein leiblicher Geschwister erhalten. Die Entscheidung, Dich mit Deiner Geschichte zu befassen, kann mit Neugier aber auch mit Angst und Verunsicherung verbunden sein. Deshalb kannst Du Dich von uns unterstützen und beraten lassen."
Laura, die inzwischen volljährig ist, hat das getan. Aber um ihre Akte einzusehen, wollte sie sich nicht in ein stilles, graues Büro im Landratsamt setzen. Das hat Monika Heckel verstanden und sich mit ihr "auf der Biber" in Brannenburg getroffen und erstmal auf eine Bank in die Sonne gesetzt. Dann hat sie angefangen zu erzählen, was da drinsteht, in der Akte. Und Laura hat zusätzlich zur frischen Luft ein bisschen Bewegung gebraucht. "Das war echt gut. Denn beim Spazierengehen muss man sich nicht immer in die Augen schauen. Da kann man auch mal wegschauen, wenn es einem gerade mal zu viel wird", erzählt uns Laura. Sie hat an diesem Tag viel über ihre Herkunftsgeschichte erfahren. "Meine leibliche Mutter hat damals wohl viel geraucht. Da kann ich froh sein, dass ich gesund zur Welt gekommen bin. Sie hat zwar noch den Wunsch geäußert, wie ich heißen soll, aber sehen wollte sie mich nach der Geburt lieber nicht, weil sie dachte, dass sie mich sonst vielleicht doch nicht weggeben kann."
Fünf Tage war Laura alt, als sie zu den Eltern kam, die sie von Herzen gerne haben wollten. Adrian war zwei Tage alt und auch er hat seinen Vornamen noch von seiner leiblichen Mutter bekommen. Seine Adoptiveltern hätten anders entscheiden können, haben es aber nicht getan. Adrian sagt: "Das ist das tolle daran adoptiert zu sein, dass einen die Eltern vermutlich noch mehr lieb haben, als es in so manch anderen Familien der Fall ist." Und Laura ergänzt: "Die haben sich ja richtig dafür bewerben müssen und das Jugendamt hat geprüft, ob sie geeignet sind." Man bekommt also schon besonders tolle Eltern.
Laura lernt Erzieherin und Adrian geht aufs Gymnasium. Leonie und Anne von aROund haben sich mit beiden im Brannenburger Jugendcafé getroffen, um mehr über ihre persönlichen Lebensgeschichten zu erfahren.
aROund: Hallo Laura, hallo Adrian, danke, dass ihr uns von euch erzählen wollt! Wie sagt ihr eigentlich zu euren Adoptiv-Eltern?
Laura: Für mich sind das meine richtigen Eltern. Und das bleiben sie auch immer.
Adrian: Ja, das ist bei mir auch so. Das sind für mich Mama und Papa.
Wann habt ihr erfahren, dass ihr adoptiert worden seid?
Adrian: Das war von Anfang an Thema. Meine leibliche Mutter hat mich in den ersten zwei Jahren auch manchmal besucht. Für mich war sie die "Bauchmama". Als sie gesehen hat, dass es mir in meiner Familie gut geht, kam sie dann nicht mehr. Meine Eltern haben mir wohl auch immer wieder das Kinderbuch "Mit dir sind wir eine Familie" über eine Adoptionsgeschichte vorgelesen.
Laura: Ja, das Buch hatten wir auch. Mir haben es meine Eltern erzählt, bevor ich in den Kindergarten gekommen bin. Sie wollten vermeiden, dass ich es sonst vielleicht von anderen erfahre. Wenn jemand im Dorf so was sagt wie: "Die Mutter von dem Mädel war doch gar nicht schwanger." Und als ich so 9 oder 10 Jahre alt war haben mir meine Eltern dann im Urlaub erzählt, dass ich auch noch zwei Geschwister habe.
Von deiner leiblichen Mutter?
Laura: Ja. Eine jüngere Schwester und eine ältere.
Hast du zu denen Kontakt?
Laura: Noch nicht, aber ich bin gerade dabei. Deshalb möchte ich hier auch nicht so viel verraten. Vielleicht nur das: Eine meiner Schwestern habe ich bei Instagram entdeckt und meiner Mutter hat das Jugendamt einen Brief geschrieben. Noch hat sie darauf nicht geantwortet.
Warst du auch mal wütend auf sie?
Laura: Es gab schon Phasen, wo ich sauer auf meine Mutter war. Meine beiden Schwestern haben bei ihr gewohnt. Warum hat sie mich, die Mittlere, abgegeben? Warum ich, warum nicht die anderen? Vor allem, wenn es mir gerade wegen was anderem scheiße ging, dann kamen solche Fragen hoch. Aber früher hab ich das alles in mich reingefressen. Und mir auch selbst die Schuld gegeben.
Und wie ist das mit deiner Adoptiv-Familie?
Laura: Wir haben wirklich ein gutes Verhältnis und können über alles reden. Als ich so vielleicht 11 Jahre alt war, hab ich bei einem Streit schon mal gesagt: "Dann geh ich halt zurück zu meiner leiblichen Mutter". Heute tut mir das aber leid, weil es meine Mama schon getroffen hat.
Hast du Geschwister, Adrian?
Adrian: Ich weiß, dass ich eine ältere Schwester habe. Die weiß aber eventuell gar nicht, dass es mich gibt. Aktuell habe ich keinen Kontakt. Weder zu ihr, noch zu meinen leiblichen Eltern. Und im Moment habe ich da auch keinen Bedarf. Aber vielleicht kommt das ja mal.
Laura: Definitiv!
In etwas mehr als einem Jahr, könntest du auch deine Akte einsehen. Willst du das dann machen?
Adrian: Ich denke schon. Gerade über meinen leiblichen Vater weiß ich eigentlich gar nichts.
In deiner Adoptiv-Familie hast du aber auch noch Geschwister, richtig?
Adrian: Ja! Meine Schwester ist auch adoptiert und seit ein paar Jahren sind noch zwei Brüder als Pflege-Kinder dazugekommen. Das lustige ist, wir sehen alle total unterschiedlich aus. Ich hab zum Beispiel Sommersprossen und meine Schwester ist zum Teil thailändisch. Manchmal, wenn wir zusammen unterwegs sind, sagen die Leute so: Die können doch nicht eine Familien sein!
Laura: Das ist bei mir total anders. Ich schau meiner Mama so ähnlich! Wir haben beide blaue Augen und blonde Haare. Und wenn man uns hinterherschaut, haben wir sogar die gleiche Gangart. Als ich mal einer Freundin erzählt habe, dass ich adoptiert bin, konnte sie das erst kaum glauben.
Wie reagieren die Leute sonst so?
Laura: Ich laufe jetzt nicht rum und binde es jedem auf die Nase. Ein Geheimnis ist es aber auch nicht. Die meisten reagieren erstmal geschockt und dann erstaunt, dass ich so offen darüber rede. Manche wollen es dann auch genauer wissen.
Findest du es doof, wenn die dann Fragen stellen?
Laura: Nein. Ich sage eigentlich immer, dass sie gerne nachfragen sollen. Ist doch besser, als wenn hintenrum gelästert wird!
Stimmt. Respekt, dass ihr beide so offen damit umgeht!
Adrian: Das liegt auch daran, dass das für uns ja ganz normal ist und immer schon dazugehört hat.
Laura: Ja, mir hat mal jemand von einem erzählt, der mit 19 Jahren irgendwelche Papiere gefunden und so erfahren hat, dass er adoptiert wurde. Der ist dann wohl gleich ausgezogen und hat den Kontakt abgebrochen.


Daumen hoch fürs Jugendamt
Adrian und Laura engagieren sich ehrenamtlich für jüngere adoptierte Kinder. Einmal im Jahr gibt es einen Ausflug für Adoptions-Familien im Landkreis Rosenheim. Da organisieren sie für die Kleineren Spiele und lenken sie ein bisschen ab von den Gesprächen, die die Eltern beim Wandern führen. Die haben manchmal auch Fragen an Laura und Adrian. Und die beiden geben ihnen gerne Tipps aus erster Hand.
In dem Brief vom Jugendamt steht: "Mit der Vollendung deines 16. Lebensjahres hast du nun das Recht, Einsicht in Deine Adoptionsakte zu nehmen. (§9c Abs. 2 S. 1 AdVermiG)." Sollte man dieses Recht wahrnehmen? Adrian meint, ja: "Macht des! Ich denke schon, dass es so Fragen gibt, wo man sein ganzes Leben lang schon drüber nachgedacht hat, warum das so ist. Oder wie es so gekommen ist. Sonst schleppt man das ewig mit sich rum." Laura sagt, sie persönlich habe noch nie schlechte Erfahrungen mit dem Jugendamt gemacht. Sie kann allen nur empfehlen, die Unterstützung anzunehmen, die einem da geboten wird.
Monika Heckel arbeitet im Fachdienst Adoption. Sie war es auch, die sich mit Laura "auf der Biber" getroffen hatte. Ihr ist es besonders wichtig, dass man die wahren Gründe und Umstände für die Adoption versteht, bevor man den leiblichen Eltern vielleicht zu Unrecht schwere Vorwürfe macht: "Jeder sollte Respekt vor der verantwortungsvollen Entscheidung der Eltern haben, die ein Kind zur Adoption freigeben", sagt sie. Dafür gebe es auch den Weg der so genannten vertraulichen Geburt. Im Landkreis Rosenheim gibt es pro Jahr etwa 20 Adoptionen. Wobei da auch Fälle mitgezählt werden, wenn ein neuer Partner das Kind seiner Partnerin (oder umgekehrt) adoptiert. Monika Heckel ist der Meinung, dass fast jeder jemanden kennt, der jemanden kennt, der adoptiert ist. Oft weiß man es nur einfach nicht. Für Laura ist die Begleitung durch Monika Heckel sehr wertvoll. "...weil man einfach weiß, dass man da immer hingehen kann."
Fachdienst Adoption im Landkreis Rosenheim
Eva Götz-Huber: 08031 392-2480
Monika Heckel: 08031 392-2356
E-Mail: adoption@lra-rosenheim.de
Fachdienst Adoption der Stadt Rosenheim
Barbara Kühn: 08031 365-1485
Theresa Louys: 08031 365-8327
Hilfetelefon für Schwangere in Not
(anonym & rund um die Uhr in 19 Sprachen)
0800 4040020