Unser Undercover-Interview | Foto: aROund
Die Reise ins Reich
"Wenn wir aufhören zu lachen, haben wir eh verloren!" Dieses Zitat beschreibt gut, was Tobias Ginsburg mit seiner Arbeit bewegen möchte. Über Verschwörungstheorien und Rechtsextreme kann man lachen, aber man darf sie nicht unterschätzen - das soll das Publikum von seinen Lesungen mitnehmen. Denn: "Es brodelt unter der Oberfläche." Er beobachte einen Rechtsruck in Deutschland, seit ungefähr 10 Jahren.
Am Freitag, den 13.10.2023 trat Tobias Ginsburg im Jugendtreff in Bad Aibling auf Einladung des Vereins "Mut und Courage" hin auf, erzählte von seinen Erfahrungen und las aus seinem Buch "Die Reise ins Reich" vor. aROund hat er sogar ein kleines Interview gegeben. Da Tobias Ginsburg auch im Moment wieder undercover recherchiert, wollte er sich aber nicht von vorne fotografieren lassen.
Wer ist eigentlich Tobias Ginsburg?
Für seine Bücher schloss er sich faschistischen Burschenschaften an, nahm an großen Veranstaltungen zu Verschwörungstheorien teil und freundete sich als Jude sogar mit Antisemiten an. Für seine waghalsigen Recherchen und Berichte aus rechtsextremen Kreisen wurde Tobias Ginsburg deutschlandweit und vor allem im linken politischen Spektrum bekannt. In seinem ersten Buch "Die Reise ins Reich. Unter Rechtsextremisten, Reichsbürgern und anderen Verschwörungstheoretikern" beschreibt er, wie er für ein Theaterstück über den Nazi-Schriftsteller Edwin Erich Dwinger begann, undercover zu recherchieren und sich unter falschem Namen u.a. in die Münchner Burschenschaft "Danubia" einschlich.
Vor der Lesung im Jugendtreff Bad Aibling konnten wir Tobias Ginsburg backstage ein paar Fragen stellen. Als erstes wollten wir von ihm wissen, ob er keine Angst habe, angegriffen zu werden. Dazu meinte er:
"Je mehr wir Angst haben, je mehr Raum wir ihnen geben und je mehr wir uns verstecken, umso mehr Macht geben wir ihnen. Ich weigere mich, ihnen Raum zu geben und ich weigere mich, Angst zu haben. Deshalb veröffentliche ich unter meinem Klarnamen."
Tobias Ginsburg scheut die Öffentlichkeit nicht. Er war auch schon im Fernsehen bei Markus Lanz und bei phoenix zu sehen. Gleichzeitig tourt er durch ganz Deutschland und tritt in vollen Sälen auf. Wir haben ihn auch gefragt, wie wir uns zur Wehr setzen und unsere demokratische Gesellschaft vor rechtsextremistischen Ideologien schützen können.
"Man muss sich engagieren und kämpfen. Es reicht nicht, einfach auf Instagram eine "Ich bin gegen Rechts und Antisemitismus" Kachel zu posten", so Tobias Ginsburgs Meinung.
"Es braucht da ein wirkliches ziviles Engagement. (...) Wir müssen uns umeinander kümmern!"
Tobias Ginsburgs Aufruf an uns: "Bildet Banden!"
"No pasaran!" bedeutet soviel wie "Sie werden nicht durchkommen!"
Der Abend in Bad Aibling
"Hauptberuflich verderbe ich Leuten die gute Laune!" So begann Tobias mit seinem Auftritt im ausverkauften Jugendzentrum Bad Aibling. Warum? Für ihn sei es wichtig, vor dem Rechtsruck in Deutschland zu warnen und auch aufzuzeigen, wie man diesem entgegentreten sollte. Die beste Waffe, die er dafür habe, sei seine Empathie:
"Ich kann versuchen, zu verstehen. Und deswegen nähere ich mich Menschen, die mir Angst machen."
Er warnt davor, Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretiker als dumm bzw. verrückt abzustempeln. Denn dann verliere man sie als Menschen ganz - vertreibe nicht das gefährliche Gedankengut, sondern verhärte es noch. Einzig mit Empathie können wir gegen diese Ideologien ankämpfen, meint er.
Tobias Ginsburg erzählte auch davon, wie er sich in das "Königreich Deutschland" hineingeschlichen hat. Aus seinem Buch las er vor, wie er an einer großen Konferenz des so genannten Honigmanns in Baden-Württemberg teilnahm. Dort traf er auf viele Verschwörungstheoretiker und auch Esoteriker. Die vermeintlich harmlose Esoterik könne schnell der Einstieg in Verschwörungstheorien sein.
Esoterik als Einstieg
"Wenn das ein Geheimnis ist, wieso wird mir dieses Wissen vorenthalten und von wem?" Wenn man daran glaube, dass einem nur irgendwelche alternetiven Heilmittel helfen können, frage man sich im zweiten Schritt schnell, warum die da oben das Wissen um solche Wundermittel vor einem geheim halten wollen, erklärt Tobias Ginsburg.
"Verschwöungstheorien sind zunächst einmal ein Realitätsboykott. (...) Alles ist grundsätzlich erstmal möglich, solange es nicht in der Süddeutschen Zeitung steht."
Und er ergänzt:
"So eine Radikalisierung geht unheimlich schnell." Aber: "Die Menschen, die sich da rein bewegen, enden in einem Albtraum."
Wissen und Aufklärung. Das sei jetzt total wichtig. Wenn das in der Schule nicht passiere, müsste sich jede und jeder selbst informieren.
"Das Basiswissen über rechtsextreme Ideologien fehlt. Wir müssen verstehen. Sonst verlieren wir Viele."
Was Tobias Ginsburg stört
Ihn ärgere, wie salonfähig heute manche rechtsextremistischen Ideologien seien, vor allem die Entwicklung der letzten Jahre.
"`Guten Tag, ich find’ Hitler klasse und hasse die Juden.´ - Wenn man das vor zehn Jahren gesagt hätte, wäre man nicht zu Markus Lanz eingeladen worden..."
Damit spielt er darauf an, dass rechtsextreme Politiker (häufig von der AfD) zunehmend in Talkshows eingeladen werden, um dort ihre Standpunkte zu vertreten.
Tobias Ginsburg stört es auch, dass manche Medien die Reichsbürger zum Teil verniedlichten. In der Zeitung sah man zum Beispiel die Krönung vom selbsternannten König von Deutschland, Peter Fitzek. Doch 2016 erschoss ein Reichsbürger in Bayern einen Polizisten (Quelle: Artikel der DW). Und 2019 erschoss ein Rechtsextremer den Politiker Walter Lübcke vor seiner Haustür, weil der sich für Geflüchtete starkgemacht hatte (Quelle: Tagesschau). Auch 2023 machten sich Medien über Prinz Reuß' Sakko und sogenannte Rollatorterroristen lustig. Doch gleichzeitig wurden bei Razzien dutzende Waffen und Putschpläne gefunden. Durchsucht wurden da auch Bundeswehrangehörige, eine Richterin und sogar eine ehemalige AfD-Abgeordnete. "Ist es die größte Gefahr aller Zeiten, oder lachen wir nur über ein paar Bekloppte?" Das fragte sich Tobias Ginsburg. Und er kam zu dem Schluss: "Wir haben ein Problem mit rechtsextremistischen Ideologien, nicht mit Reichsbürgern."
Am Ende der Veranstaltung ging der Autor auch noch auf einige Fragen aus dem Publikum ein, wie etwa, ob er von den im Buch genannten Personen je wieder kontaktiert wurde. Einige kleinere Persönlichkeiten hätten ihm geschrieben, dass sie enttäuscht wären. Von den großen und wichtigen Leuten habe ihn aber kein einziger kontaktiert. Anfangs habe er Angst gehabt - vor allem von denen, die in der Politik aktiv sind. Obwohl er in Talkshows über sie auspackte, hätten diese aber wohl den Luxus, ihn ignorieren zu können, so groß sei ihre Macht.
Unsere Meinungen
Melina's Meinung:
Ich finde es wichtig, sich mit dem Thema Rechtsextremismus zu beschäftigen, vor allem wenn man sich die politische Lage in Deutschland und auch in vielen anderen Ländern ansieht. Daher habe ich sehr viel Respekt für die Arbeit von Tobias Ginsburg und gleichzeitig beeindruckt mich sein unfassbarer Mut. Nicht viele würden sich trauen, sich so aktiv und öffentlich gegen Rechtsextremismus auszusprechen. Besonders interessant fand ich seine Aussage, dass man diesen Menschen mit Empathie gegenübertreten muss, aber das nicht heißt, dass er Sympathie für Rechtextreme empfindet. Ich habe mich angesprochen gefühlt, als er davor warnte, Verschwörungstheoretiker als verrückt oder dumm abzustempel, da ich selbst dazu neige, genau das zu tun. Ich denke viele Menschen, gerade in der Politik, haben das Thema lange nicht ernst genug genommen und jetzt sind wir an dem Punkt, an dem immer mehr Rechtsextreme in der Politik zu finden sind. Gerade wenn man unsere Geschichte bedenkt, frage ich mich, wie es soweit kommen konnte. Lesungen wie diese können meiner Meinung nach weiter für das Thema sensibilisieren und hoffentlich ein Umdenken herbeiführen. Tobias hat recht: wir dürfen Rechtextremismus keinen Raum geben und uns auch nicht von der Angst davor lähmen lassen.
Flo's Meinung:
Da mich Politik schon immer interessiert hat und ich mir auch häufig zum Rechtsruck Europas Gedanken mache, fand ich die Lesung sehr interessant. Man merkte sehr, wie viel Leidenschaft und gleichzeitig Respekt Tobias Ginsburg vor diesem Thema hat. Es braucht viel Mut, sich mit solchen Leuten zu treffen und noch viel mehr Mut, darüber so viel in der Öffentlichkeit zu reden. Seine Ideen, wie man am besten den rechten Ideologen entgegentritt, fand ich sehr spannend und sie haben mich zum Nachdenken angeregt. Meiner Meinung nach macht er das richtige, man darf den Rechtsextremen keinen Raum geben. Gleichzeitig darf man aber auch nicht deren Menschlichkeit vergessen. Durch schlichtes Ignorieren oder als "dummes Zeug" abstempeln stärkt man sie noch viel mehr. Die Politik hat dieses Problem lange Zeit nicht ernst genommen und jetzt versagt sie im Umgang mit ihnen. Dies erkennt man vor allem an den Umfragewerten der AfD. Wenn man die AfD und den Rechtsruck wirklich besiegen bzw. eindämmen will, muss man sich diesen stellen und ihnen mit Fakten und Taten das Futter nehmen und somit das Volk wieder von der Demokratie überzeugen. Ich bleibe aber optimistisch. Ich denke, dass die Demokratie in Deutschland stark verankert ist. Wir stehen zu unserer Geschichte und ziehen aus dieser Konsequenzen. Wir werden unsere Demokratie verteidigen, ob in Parlamenten oder im Alltag - kein Raum für Rechtsextremismus!
Die Aiblinger Veranstalter
Die Lesung von Tobias Ginsburg in Bad Aibling wurde vom Mut und Courage e. V. organisiert. Dieser veranstaltet seit 2010 Aktionen und setzt sich für Toleranz, Respekt und Courage in der Gesellschaft ein. Auf der Website findet man Informationen zu den nächsten Terminen und Treffen. Ein Highlight im Sommer war zum Beispiel das "Wir sind lauter"-Demokratiefestival in Bad Aibling. Da traten Musiker wie "Lenze und de Buam" und "Monobo Son" auf, um ein Zeichen gegen steigenden Hass und Hetze zu setzen.
Das Jugendzentrum Bad Aibling veranstaltet regelmäßig coole, spaßige und kreative Events, u. a. jeden Freitag um 17 Uhr das "Atelier Chaos", einen kreativen Kunstkurs. Es gibt dort auch (E-)Sport-Turniere, eine Bibliothek oder einfach entspannte gemeinsame Abende. Auf seiner Instagramseite postet das JuZ Bad Aibling immer die nächsten Aktionen.
Noch ein Tipp von uns
Genauso gut recherchiert und faktenbasiert wie die Werke von Tobias Ginsburg ist die Bundeszentrale für politische Bildung, eine staatlich finanzierte und unabhängige Anstalt, mit dem Ziel, die politische Bildung in Deutschland zu stärken.
Die bpb ist eine der besten Quellen, um sich über Politik im Jetzt und der Vergangenheit zu informieren. Sie ist neutral und die Beiträge sind geschichtlich gut belegt. Bekannt wurde die bpb außerdem durch die "Wahl-O-Maten", mit welchen man seine Ansichten mit den großen Parteien vergleichen kann. Für Schulen und für private Zwecke findet man dort einige kostenlose Artikel, wie z. B. unser Grundgesetz oder das Magazin "fluter".