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Grafik mit vielen Wörtern zum Thema Chronische Krankheit, wie Muskelschmerzen, Ohnmacht, Fatigue, Brainfog oder Geräuschsensibilität
Artikel von Hannah
Bereich
Wissen
Veröffentlicht
21.03.2025

Was ist los mit mir?

Ich habe eine chronische Krankheit. Das weiß ich seit ich 18 bin – also seit 2,5 Jahren. Seitdem lerne ich damit umzugehen und gehe dabei durch Höhen und Tiefen. Manchmal träume ich, dass ich gesund bin, dass ich laufen und tanzen, turnen und auf dem Trampolin springen kann wie früher. Wenn ich dann aufwache und die Schmerzen wieder da sind, dann macht mich das richtig traurig. Es ist, als müsste ich nach jedem Traum erneut darauf klarkommen, dass ich krank bin. Aber ich komme klar. Ich weiß, dass es anderen noch schlechter geht als mir. Und für die möchte ich euch von mir erzählen und auf chronische Krankheiten aufmerksam machen. Weil sie es selbst nicht können. Weil ich finde, dass die Versorgung schlecht ist und dass zu wenig dazu geforscht wird.

Ich bin ja keine Ärztin, alles was ich über meine Krankheiten schreibe sind also meine Erfahrungen, was ich von Ärzten gesagt bekommen und was ich recherchiert habe.

Von einer chronischen Krankheit spricht man, wenn die Symptome länger als drei Monate anhalten. Du kennst bestimmt Asthma oder Diabetes. Meist begünstigt eine chronische Krankheit die nächste oder löst eine andere aus. Das nennt man Co-Morbidität und das ist ein echter Teufelskreis. Die meisten chronischen Krankheiten führen zu einer Behinderung.

ME/CFS

Ich habe die Diagnose moderates ME/CFS. Die Buchstaben stehen für Myalgische Encephalomyelitis und Chronisches Fatigue Syndrom.

 

Die Website der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS definiert es so: "Personen mit mittelschwerem ME/CFS sind in ihrer Mobilität und allen täglichen Aktivitäten stark eingeschränkt. Sie müssen in der Regel ihre berufliche Tätigkeit oder Ausbildung aufgeben. Typisch sind Schwankungen im Symptomverlauf. Das geringe Funktionsniveau zwingt Erkrankte, verbliebene Aktivitäten gut zu planen und umfangreiche Pausen einzulegen. Außerhaustermine, wie Einkaufen, Arzt- oder Behördenbesuche, führen in der Regel zu einer (zeitweisen) Verschlechterung des Gesundheitszustands (Post-Exertionelle Malaise (PEM))." 

 

Zu Müdigkeit und PEM kommen noch andere Symptome, wie Brainfog, Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Muskelschwäche, Atemnot, Herzrasen und extreme Reizempfindlichkeit, zum Beispiel auf Lärm oder Licht.

 

Es gibt auch Patient*innen mit schwerem ME/CFS. Die können den ganzen Tag nur in einem dunklen Raum im Bett liegen und ertragen kein Licht und keine Geräusche: Sie können sich teils nicht mal mehr selbst umdrehen.

Die Diagnose ME/CFS haben in Deutschland ungefähr 250.000 Menschen. Vermutlich ist die Dunkelziffer aber höher, weil viele Kranke fehldiagnostiziert werden. 

Hannah schlafen, in eine Decke gewickelt

POTS

Hannah im Krankenhaus-Bett mit Infusion im Arm.

Eine Co-Morbidität von ME/CFS ist POTS. Das Posturale Orthostatische Tachycardie Syndrom ist eine Kreislauferkrankung. Es wird dadurch definiert, dass der Puls, also wie schnell dein Herz schlägt, beim Aufstehen (vom Liegen ins Stehen) um 30 bpm (beats per minute) steigt.

 

Normalerweise ziehen sich beim Aufstehen unsere Blutgefäße zusammen, damit das Blut leichter entgegen der Schwerkraft gepumpt werden kann. Bei POTS-Patient*innen wird vermutet, dass dies nicht oder nur sehr langsam passiert. Dadurch wird das Gehirn nicht richtig durchblutet und es kommt zu Schwindel und anderen Symptomen, manchmal sogar Ohnmacht. Der Körper versucht gegenzusteuern indem er den Puls ankurbelt. Das kann das Herz aber nicht lange halten und dann wird einem ebenfalls schwindlig und man kann auch davon umkippen.

 

Man weiß nicht was bei ME/CFS oder POTS zuerst kommt. Es ist bisschen wie das Henne-Ei Problem. ME-CFS verursacht Müdigkeit und Belastungsintoleranz, dadurch kann man sich weniger bewegen. Die Gefäße werden schwächer. Und das wiederum löst POTS aus. Wenn dadurch das Hirn schlechter durchblutet wird, wird man wiederum müde und ist weniger belastbar. Und so weiter und so weiter. 

HEDS

Bei mir kommt sogar noch eine weitere Erkrankung dazu. Hier muss ich aber noch sagen, dass meine Ärzt*innen sich nicht ganz sicher sind. Die Krankheit ist noch weniger erforscht, als die beiden anderen. Sie nennt sich Hypermobiles Ehlers-Danlos-Syndrom (hEDS) und ist eine genetische Bindegewebserkrankung. Das Bindegewebe von Betroffen ist sehr schwach, weil der Stoff, der das Bindegewebe stabil macht - das Collagen - nur fehlerhaft gebildet wird.

 

Da hEDS eine genetische Krankheit ist, habe ich diese wohl schon seit ich geboren wurde, wusste es aber nicht. In meiner Kindheit hatte ich damit zwar auch schon kleinere Probleme, wie Wachstumsschmerzen oder Schwindel, aber nie in dem Ausmaß, dass näher nachgeforscht wurde. Das stärkste Anzeichen für hEDS war für mich sogar lange ein besonderes Talent - etwas das ich schon immer besser konnte als die meisten: meine Überbeweglichkeit. Ich konnte Tricks wie Spagat, Überspagat, Brücke und so weiter ohne Probleme und das hat mir schon immer Spaß gemacht und ist mir leichtgefallen. 

Hannah als kleines Kind mit dem Fuß im Gesicht

Hannah in der Gymnastik position Needle, mit dem Fuß hinter dem Kopf nach oben gestreckt

Hannah im Handstand mit Spagat

Ein Symptom von hEDS sind also überbewegliche Gelenke, bis hin zum Auskugeln, was sehr schmerzhaft ist. Durch die konstante Überdehnung werden die Gelenke instabiler und entzünden sich, was zu noch mehr Schmerzen führt. 

Wie bei mir wird die Krankheit für die meisten erst ein paar Jahre nachdem sie ausgewachsen sind zum Problem. Man kann eine chronische Krankheit also auch schon sein Leben lang haben, aber erst zu einem gewissen Zeitpunkt dadurch behindert werden kann. 

Wie sich mein Leben verändert hat

In meinem Leben gibt es ein Vorher und ein Nachher. Das Vorher ging bis zum Sommer 2021: Da habe ich Abitur gemacht, stand auf der Bühne meines Theatervereins, sang im Chor und schrieb das Stück für unser Abi-Kabarett. Ich fuhr mit Freundinnen auf einen Städtetrip, dann mit meinen Eltern in den Aktivurlaub und betreute im Anschluss ein Kinder-Zeltlager. Danach machte ich ein Praktikum an einem Filmset, wo ich Requisiten reparierte und eine Komparsenrolle übernahm, bevor schließlich mein FSJ an einer Sonderpädagogischen Grundschule anfing. Plus Babysitten und Englisch-Nachhilfe nebenbei. Puh! Damals habe ich meine Tage echt vollgestopft – und ich hab es genau so gemocht!

 

Dann habe ich ein Studium angefangen - Lehramt Sonderpädagogik - musste das aber sehr schnell abbrechen. Plötzlich war mir das zu viel, aber noch wusste ich nicht warum. Also habe ich erstmal als Schulbegleiterin gearbeitet, weil ich dachte, dass das ja "nur" 20 Stunden die Woche sind. Aber auch die Arbeit konnte ich nicht lange halten. Es ging mir immer schlechter. Und auch meine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin musste ich aufgeben.

 

Mein Körper hat eine Pause gebraucht und ich habe sie ihm dann auch gegeben. Meine Symptome wurden zwar nicht wirklich weniger, aber ich fand Methoden mit ihnen zu arbeiten, anstatt dagegen. Ich musste viele meiner Hobbies aufgeben und das fällt mir bis heute nicht leicht. Aber langsam stelle ich fest, wieviel ich immer noch machen kann. 

Ich studiere jetzt Heilpädagogik im Fernstudium. So kann ich mein eigenes Tempo dafür vorgeben und es macht nichts, wenn ich mal ein paar schlechte Tage habe wo ich nichts fürs Studium machen kann.

 

Wenn ich in meiner Freizeit etwas unternehmen will, dann muss ich planen. Wird es anstrengend und laut? Werde ich später ins Bett kommen als sonst? Dann mache ich schon davor weniger für die Uni, um Kraft zu sparen und am nächsten Tag plane ich mir gar nichts ein, damit ich keinen zu schweren Flare-Up bekomme. Wenn ich das gut plane, dann bin ich schon am Mittwoch wieder auf meinem normalen Baseline-Level. (So nennt man die Symptomlast und das Schmerzlevel, das man normalerweise so jeden Tag hat.) Manchmal kann man auch noch so gut mit den Kräften haushalten und trotzdem geht es einem nachher wieder viel schlechter.

Was mir hilft

Meine zwei besten Freundinnen waren mir in der ganzen Zeit eine riesige Stütze. Für sie hieß es nie, ob ich bei unseren Aktionen noch mitmachen kann, sondern nur wie oder welche wir gemeinsam machen können. Mit ihnen war ich in den letzten zwei Jahren trotz meiner Krankheiten in Schweden, London und am Bodensee.

  

Auch meine Familie ist eine große Stütze. Ich hätte mich niemals so viele Dinge getraut, wenn ich nicht gewusst hätte, dass mich meine Eltern egal wo ich bin abholen würden, wenn es mir nicht gut geht. Und auch mein Bruder ist für mich da. Sie unterstützen mich mit allem und ich bin ihnen so unglaublich dankbar. 

Was mich nervt

Bis ich meine Diagnosen bekommen habe vergingen fast zwei Jahre! Ich war bei drei verschieden Hausärzt*innen, zwei Kardiologen, einem Neurologen und zwei Orthopäden. Ich war zwei Monate in teilstationärer Betreuung und sechs Wochen in stationärer Betreuung. Jahrelang habe ich Ärzt*innen gesagt, welche Probleme ich habe, aber jahrelang wurde es auf die Psyche geschoben. Ich habe vier verschieden Antidepressiva probiert, Nebenwirkungen und Entzüge durchgemacht und es hat nichts geholfen. Besonders in der Tagesklinik im Austausch mit anderen Patienten*innen habe ich gemerkt, dass meine Probleme anders sind, dass ich was anderes habe. 

 

Mich nervt es sehr, dass Ärzt*innen so wenig über die Krankheit wissen. Und dass sie einen oft nicht ernst nehmen, ist auch so eine Sache: Wenn man alleine in die Praxis kommt, denken sie, dass es einem ja nicht so schlecht gehen kann. Wenn man aber als junge Erwachsene die Eltern mitnimmt, dann gilt man als unselbstständig und wird deswegen weniger ernst genommen. Wenn man weint oder nervös ist, gilt man als zu emotional und es heißt man kann einem erst helfen, wenn man nicht so dramatisch ist. Wenn man ruhig bleibt, dann kann es ja nicht so schlimm sein. Wenn man sich nicht zu seinen Symptomen informiert, wird man für blöd gehalten, aber wenn man über seine Krankheiten Bescheid weiß, dann wird man dafür verurteilt, Google als Ressource genutzt zu haben. Wenn man nicht jede Therapie und alles ausprobieren will oder kann (manche Therapien sind nämlich einfach teuer) wird einem vorgeworfen, man wolle ja nicht gesund werden. 

 

Auch unüberlegte Aussagen von Bekannten und Verwandten können nervig sein. Meist verkneife ich mir Bemerkungen, aber euch verrate ich, was ich manchmal gerne antworten würde:

 

„Du bist doch viel zu jung um krank zu sein/ Schmerzen zu haben." 

"Oh, ja stimmt, ich bin noch jung. Ja dann bin ich plötzlich nicht mehr krank." 

 

"Du schaust gar nicht krank aus."

"Ich schick dir ein Bild wenn ich das nächste Mal vom Stuhl kippe." 

 

"Sei mal ein bisschen positiver."

"Sei mal weniger dumm." 

 

"Ich bin auch müde wenn ich von der Arbeit heimkomme."

"Müdigkeit geht durch Schlafen weg, Fatigue nicht." 

Grünes Schlüsselband mit Sonnenblumen drauf, am Carabiner hängt eine kleine Klarsichttasche mit einem Zettel dran

Wie du helfen kannst

Jede Person mit chronischer Krankheit ist anders, also kann ich nicht für alle sprechen, aber ich glaube dass du mit diesen Tipps schon recht weit kommst. 

 

Zuhören

Wenn dir jemand von seiner/ihrer chronischen Krankheit erzählt, hör zu, stell Fragen und nimm die Person ernst. Chronische Krankheiten sind so komplex, du musst sie nicht komplett verstehen, aber hör zu und frag die Person wie du ihr helfen kannst.

 

Keine ungefragten Ratschläge

Ja, ich weiß, man meint es nur gut. Aber wenn du der Person nicht extrem nah stehst, dann gib besser keine Tipps. Die Chancen sind groß, dass die chronisch kranke Person schon alles probiert hat oder es aus medizinischen oder finanziellen Gründen nicht probieren kann. Sie bekommt ständig ungefragt Tipps und das ist einfach warnsinnig nervig. Und nein, einfach mal rausgehen oder Yoga machen hilft nicht. 

 

Hilfsmittel akzeptieren

Ich habe viele Hilfsmittel, die mir helfen "normale" Dinge besser zu schaffen. Meine Sonnenbrille trage ich im Sommer und Winter, drinnen und draußen. Außerdem nutze ich Noise-Cancelling-Kopfhörer und Loop-Earplugs, um laute Geräusche zu unterdrücken. Auch ein Stuhl kann sehr hilfreich sein! Langes Stehen ist für mich extrem anstrengend. In der Küche habe ich einen Stuhl mit Rollen, damit ich auch beim Kochen sitzen kann. Ich habe schon Schlangen an Supermarktkassen verlassen müssen, weil ich nicht mehr stehen konnte oder ich musste mich einfach auf den Boden setzen.

 

Ich habe auch ein Sonnenblumen-Bändchen. In Deutschland ist es noch nicht so bekannt, wie in UK wo es herkommt. Das Sonnenblumenbändchen ist ein Zeichen, dass die Person, die es trägt, eine unsichtbare Behinderung hat. Mir gibt es eine Sicherheit. Daran ist ein Zettel, der meine Krankheiten beschreibt und auf dem die Telefonnummern von meinen Notfall-Kontakten stehen.

 

Nicht aufgeben

Mit einer chronischen Krankheit vereinsamt man sehr schnell. Man kann nicht mehr so viel rausgehen und wenn dann ist es oft sehr anstrengend. Eine Nachricht oder das Angebot mal zu telefonieren sind extrem hilfreich. Akzeptiere aber auch wenn die Person gerade nicht reden will. Manchmal ist es nämlich extrem deprimierend, mit Personen zu sprechen, die das Leben leben, das man selbst gerade verpasst. Sei deshalb nicht beleidigt, sondern frag bitte in einer Woche nochmal nach.

 

Hilfe anbieten 

Wenn du dir eins aus diesem Artikel mitnimmst, dann bitte dass jede chronische Krankheit anders ist und dass jeder von chronischen Krankheiten betroffen sein kann. Geht respektvoll miteinander um und hört einander zu! Danke.

Die Lemon-Challenge

Die Lemon-Challenge ist von der ME/CFS Research Foundation ins Leben gerufen worden um auf die Krankheit aufmerksam zu machen. Man soll sich dabei filmen, wie man in eine Zitrone beißt. Der Biss in die Zitrone steht symbolisch für die extreme Reizüberflutung, die ME/CFS Patienten tagtäglich erleben müssen.

 

Hier gehts zur offiziellen Website der ME/CFS Research Foundation und dem offiziellen Aufruf für die Lemon-Challenge.

Auf dem Instagram-Kanal von aROund findest du auch unser Lemon-Challenge-Video. Vielleicht hast du ja auch Lust mitzumachen und selbst eines zu posten?

Mehr

Wenn euch das Thema weiter interessiert, findet ihr hier noch mehr Infos 

 

Deutsche Gesellschaft für ME/CFS 

 

Ehlers-Danlos Initiative 

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