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Foto: Ein Kunstwerk aus Eisen über einer Mauer stellt ausgemergelte menschliche Körper dar, die kreuz und quer durcheinander liegen

Mahnmal | Foto: KZ-Gedenkstätte Dachau

Interview von Andrea
Bereich
Wissen
Veröffentlicht
25.01.2022

Ein Tag im Jahr: Opfer der Nazis

Der 27. Januar ist der Gedenktag für die Opfer des Holocaust. Dieser Tag ist für mich besonders und ich finde, dass er allen Menschen im Gedächtnis bleiben soll, denn wie der KZ-Überlebende Max Mannheimer sagte: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon“.

Um an die Zeit des Nationalsozialismus zu erinnern, habe ich bei der Gedenkstätte des KZ-Dachau ein Interview angefragt. Maximilian Lütgens, der dort in der pädagogischen Abteilung arbeitet, hat sich gerne die Zeit genommen, meine Fragen zu beantworten. Er sagt, dass wir alle Toleranz vorleben sollten und dass es die Aufgabe von alles ist, die Erinnerung an diese Zeit und das Leid der Menschen damals wachzuhalten, damit so etwas nicht noch einmal passiert.

 

Herr Lütgens, wann haben die Nationalsozialisten das KZ Dachau errichtet?

Am 22.03.1933. Das Gelände gehörte davor einer Pulver- und Munitionsfabrik und wurde nicht mehr genutzt. Die SS konnte also recht einfach das riesige Gelände verwenden.

 

Wie viele Menschen waren im KZ Dachau gefangen?

Etwa 200.000 Menschen während der 12 Jahre. In den ersten Jahren waren es einige Tausend Gefangene, aber mit Beginn des Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der Gefangenen rapide an. In den letzten Kriegsmonaten war das Lager total überfüllt und es sollen 32.000-40.000 Menschen im Lager gefangen gewesen sein.

Weshalb wurden sie inhaftiert?

Zu Beginn des Lagers wurden vor allem politische Gegner (vor allem Sozialdemokraten und Kommunisten) und Widerstandskämpfer im KZ Dachau gefangen genommen. Im Laufe der 1930er Jahre kamen Zeugen Jehovas hinzu (da sie Hitler und die Wehrmacht konsequent ablehnten), Menschen die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt und als "Homosexuelle Häftlinge" bezeichnet wurden, Menschen die aus Deutschland auswandern wollten, aber wieder zurückgeschickt worden waren (sogenannte „Emigranten“) und sogenannte „Kriminelle“ bzw. „Berufsverbrecher“ (Kriminelle oder Menschen die als kriminell diffamiert wurden) und nach der Reichspogromnacht im November 1938 dann auch vermehrt Juden. Während der 1930er Jahre waren es dann auch immer mehr Menschen, die als sogenannte „Asoziale“ bezeichnet wurden. Unter diese Kategorie fielen u.a. Sinti und Roma, gewisse Arten von Schaustellern, Arbeitslose, Alkoholiker, Prostituierte oder Obdachlose. Im Laufe des Krieges kamen dann Geistliche, Kriegsgefangene, Widerstandskämpfer und politische Gegner aus den eroberten Gebieten hinzu. Außerdem Menschen, die wie die Juden und Sinti und Roma aufgrund der NS-Rassenideologie verfolgt wurden. Unter den Gefangenen waren Menschen zwischen etwa 10 und 80 Jahren und in der Endphase auch Frauen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass jeder ins KZ kam, der nicht der Weltanschauung der Nationalsozialisten entsprach. Die unterschiedlichen Kennzeichnungen der Häftlingsgruppen finden sich hier

 

 

Foto: Ein heruntergekommener schwach beleuchteter Gang mit vielen Türen
Bunker | Foto: KZ-Gedenkstätte Dachau

Wie viele Menschen sind im KZ Dachau oder an den Folgen ihrer Inhaftierung zu Tode gekommen?

Schätzungsweise 41.500 Menschen.

 

Wann und von wem wurde das KZ Dachau befreit?

Das Hauptlager befreiten Soldaten der 7. US-Armee am 29. April 1945, die auch Rainbow-division genannt wurden.

 

Haben Sie vielleicht exemplarisch ein Beispiel, was Ihnen besonders im Kopf geblieben ist, wenn Sie an das KZ Dachau denken?

Da habe ich sehr viel im Kopf. Mich bewegt zum einen das Schicksal von Widerstandskämpfer Georg Elser, der 1945 in Dachau ermordet wurde und es fast geschafft hatte, Adolf Hitler im Alleingang zu ermorden. Dann bewegen mich die Schicksale der Widerstandskämpferin Noor Inayat-Khan, die aus Indien kam und in Europa gegen die Nazis gekämpft hat, aber leider auch in Dachau ermordet wurde. Und das Schicksal von Abba Naor, der den Holocaust und das Dachauer Außenlager in Kaufering überlebt hat. Er berichtet noch heute in Schulklassen über seine Erinnerungen an die Jugend im KZ. Wenn ich noch einen Außen-Ort einbeziehen darf, dann bewegt mich auch das Schicksal der 4.000 Menschen, die von der SS 2 km von Dachau weg in Hebertshausen erschossen wurden. Einige ihrer Angehörigen durfte ich vor drei Jahren bei einer bewegenden Gedenkzeremonie kennenlernen.

 

Haben Sie noch Kontakt zu Überlebenden vom KZ in Dachau?

Ja, zu besagtem Abba Naor sogar einen sehr engen Kontakt, da ich ihn zu den Zeitzeugengesprächen begleite. Dann noch zum Holocaust- und Kaufering-Überlebenden Peter Gardosch, der für uns online Zeitzeugengespräche macht und zu dem Holocaust-Überlebenden Erich Finsches in Wien.

Foto: Viele bunte Blumenkränze an eine Mauer des KZs gelehnt

Welche gesellschaftlichen Ursachen haben Ihrer Meinung nach zum Holocaust geführt?

Das ist eine Frage zu der ich länger ausholen müsste, da sie nicht so einfach und kurz zu beantworten ist. Antisemitismus und Rasseideologien hat es auch schon lange vor 1933 gegeben. Die Nationalsozialisten haben den Antisemitismus verschärft und ihr Ziel war es, die Juden aus dem Deutschen Reich auszugrenzen und sie irgendwann aus der Gesellschaft zu entfernen. Durch verschiedene Maßnahmen steigerte sich die Ausgrenzung, die das erste Mal in der Reichspogromnacht in physischen Terror überging. Damit sollten die Juden zur Auswanderung gedrängt werden. Im Zuge des Zweiten Weltkrieg und insbesondere im Zuge des Russlandfeldzuges steigerte sich der radikale Umgang der Nazis mit den Juden weiter und es kam zu Massenerschießungen, dem Beginn des Holocaust und dem Entschluss, die Juden in Europa alle zu ermorden. Ab 1942 wurde der Holocaust dann systematisch mit der geplanten Ermordung in Vernichtungslagern durchgeführt.

 

In unserer jetzigen Zeit ist der Antisemitismus nach wie vor ein Thema. Welche gesellschaftlichen Ursachen gibt es heute dafür?

Auch eine größere Frage. Antisemitismus gibt es seit Jahrhunderten in Europa und er ist leider noch immer da. Viele der von Nationalsozialisten erfundenen Anschuldigungen werden den Juden noch immer angehängt und es gibt nach wie vor radikale Verschwörungstheorien. Menschen projizieren ihren Hass und ihre Unzufriedenheit auf Minderheiten und zu denen gehört die Minderheit der Juden. Hinzukommt der Hass von Menschen, die im Nahen Osten von der Politik Israels und Palästina betroffen sind.

 

Wo fängt für Sie persönlich Antisemitismus an?

Wenn man jemanden aufgrund seiner Herkunft, Kultur oder Religion irgendetwas anheftet, dann ist das als Rassismus bzw. Antisemitismus zu bewerten. Insbesondere wenn dann auch noch Jahrhunderte alte Verschwörungsmythen hinzugezogen werden.

 

Welche Ursachen gibt es Ihrer Meinung nach in der heutigen Zeit?

Unzufriedenheit der Menschen, Hass, erstarkender Rechtsextremismus und Nationalismus und auch stärker werdender religiöser Fanatismus.

 

Wie sehen Sie die aktuellen rechtradikalen Strömungen und die AfD?

Natürlich sehr kritisch und bedenklich. Diese Strömungen müssten in unserem Land härter angegangen werden und wenn sich die AfD davon nicht distanziert, dann muss die Partei meiner Ansicht nach verboten werden.

 

Welche Botschaft möchten Sie den Menschen heute mitgeben – den jungen Leuten und der gesamten Gesellschaft?

Was sollen wir tun? Was dürfen wir nicht verpassen?

Der Holocaust-Überlebende Abba Naor predigt immer, dass wir alle das gleiche Blut haben und es keine Rolle spielt, wer wie aussieht und woher er kommt. Er und auch Max Mannheimer haben immer gesagt, dass wir heute die Vergangenheit nicht mehr verändern können, aber wir verantwortlich für die Zukunft sind. Es ist unsere Aufgabe, die Erinnerung an diese Zeit und das Leid der Menschen damals wachzuhalten, damit so etwas nicht noch einmal passiert. Wir müssen uns dafür einsetzen, Toleranz vorleben und wie Abba Naor sagt, immer betonen, dass „das Leben eine feine Sache ist“.

Foto: Kunstwerk aus Eisen als Mahnmal, das ausgemergelte Körper darstellt, die durcheinander liegen

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