Noch nie habe ich öffentlich über mein Outing und meine Schulzeit erzählt. Dann habe ich Heartstopper gesehen und mich so mit Charlie identifizieren können, dass ich das zum Anlass genommen habe, meine Geschichte jetzt zu teilen.
Das erste Date | Credit: Netflix
- Meinung von Jonas B.
- Bereich
- Unterhaltung
- Veröffentlicht
- 05.05.2022
Heartstopper (s)toppt alles!
Heartstopper - Die neueste Netflix Coming-of-Age Serie hat etwas ganz Besonderes an sich. Es ist nicht nur eine Serie, es ist ein Kunstwerk und eine Ode an das Leben, die mich sofort verzaubert hat.
Die Geschichte handelt von der Entwicklung einer Freundschaft zweier Jungs hin zu einer zuckersüßen Romanze. Sie ist so besonders, dass ich sie mir in der knapp einen Woche seit Release schon 4 mal am Stück angeschaut habe... Kurz: Ich hatte genau auf so etwas gewartet und ich wünschte, so eine Serie hätte es schon vor 7 Jahren gegeben, als ich mich geoutet habe.
Mich hat Heartstopper viele Tränen gekostet... Tränen vor Glück. Und die Serie hat mich in einem Mix aus Freude, tiefer Bewegtheit und Mitgefühl und mit einer merkwürdigen Melancholie zurückgelassen, was ich mir persönlich nicht erklären kann. Und anscheinend bin ich nicht der Einzige, der so fühlt. Meine ganze TikTok-, Instagram- und Twitter- ForYouPage ist voll von Leuten, die genau das gleiche Gefühl beschreiben.
Meine Meinung: Jeder sollte diese Serie gesehen haben, es sollte keinen geben, der sie nicht gesehen hat, sie ist meine absolute Pflichtempfehlung.
Worum geht es?
Die Hauptcharaktere, Nick Nelson und Charlie Spring, sind zwei Jungs, die auf eine britische Jungenschule gehen - die Truham Grammar in der Grafschaft Kent. Charlie (Joe Locke), ein schüchterner, schwarzgelockter Junge aus Year 10 und Nick (Kit Connor), der coole, gemeinhin "Rugby-King" genannte Blondschopf aus Year 11 begegnen sich erstmals in den so genannten Form Groups und stellen schnell fest, dass das zwischen ihnen sich nicht nur zu einer besonderen Freundschaft, sondern sogar zu einer Romanze entwickelt.
Graphic-Novels als Basis
Die Storyline basiert auf den erfolgreichen und gefeierten Graphic-Novels von Alice Oseman, die sie seit 2016 online auf Plattformen wie Tumblr oder Webtoon veröffentlicht hat. Mittlerweile sind die kleinen Webcomics auch als Buchbände herausgekommen, 4 "Volumes" und einige extra Bücher sind es an der Zahl. Volume 1 und 2 sind die komplette Basis für die Netflix-Serie und Oseman war selbst an der Produktion und dem Drehbuch wesentlich beteiligt. (Sie hat sogar einen Mini-Einsatz als Act in der Serie!) Eine Seltenheit bei Buchverfilmungen, denn oft werden die ursprünglichen Autor*innen, die die Charaktere erdacht haben, eher im Hintergrund gehalten und leider wenig direkt eingebunden. Hier war das Gott sei Dank nicht so, denn gerade Leute wie Oseman kennen ihre Charaktere doch am allerbesten und wissen, wie sie sich in welchem Moment verhalten würden. Und das half bei Heartstopper ungemein weiter: Durch die Graphic-Novels war Vieles viel bildlicher in der Vorbereitung und die Rollen einfach noch detaillierter ausgearbeitet, sagen die Hauptdarsteller Kit Connor und Joe Locke. "Hatte man eine Frage, wie 'Meinst du, Charlie würde sich jetzt so verhalten?', konnte man Alice immer fragen. Antwortete sie dann mit 'Mmmhh...' war das ihre freundliche Art zu sagen: Nein! Dann haben wir das komplette Gegenteil davon gemacht", erzählt Locke lachend im Interview mit BBC Breakfast. Die Serie bleibt darüber hinaus sehr stark am schriftlichen Original, viele Dialoge sind nur minimal verändert bzw. gekürzt, Szenerien, wie Charlie's Zimmer wurden exakt in nahezu jedem Detail aus den Comics nachgebaut. Auch das macht Heartstopper als Buchverfilmung besonders, denn üblich ist das keinesfalls. Heartstopper ist hier der wohltuende Gegenentwurf auf dem Film-/Serienmarkt, die Geschichte nicht krampfhaft neu aufsetzen zu wollen, sondern belässt sie so, wie sie schon in den Büchern einwandfrei funktioniert hat.
Die Story
Als Charlie zunächst davon erfährt, in einem Kurs neben den beliebten Nick gesetzt zu werden, ist er alles andere als begeistert, denn Nick ist im Rugby Team und im vergangenen Jahr war Charlie von einigen Rugby-Typen als schwul geoutet und gemobbt worden. Daraufhin hatte er sich in den Pausen nicht mehr rausgetraut, sondern war bei seinem sehr warmherzigen, verständnisvollen Kunstlehrer Mr. Ajayi geblieben. Er und seine Freunde Tao (Will Gao) und Isaac (Toby Donovan) misstrauen seither grundsätzlich allen Rugby-Spielern.
Als Charlie jedoch zum ersten Mal auf Nick zugeht, funkt es bei ihm. Er bleibt stehen und schaut zu Nick, der von seinem Blatt Papier aufsieht. Die Serie zeigt sich an dieser Stelle, keine 5 Minuten nach Start, von einer besonders süßen, detailverliebten Seite, die vor allem Alice Oseman zu verdanken ist und sich im Verlauf der insgesamt 8 Episoden noch viele Male bewundern lässt. Eine behutsame, sanfte, aber auch aufregende Melodie setzt ein und mit einem feinen Windgeräusch fliegen um Charlies Kopf mit einem Mal animierte, gezeichnete Blätter. Diese Blätter, ikonisches Symbol der Heartstopper-Comics, zeigen dem Zuseher von nun an symbolisch: Hier ist was im Busch. Das ist ein Moment intensiver Gefühle, im Englischen würde man von gewissen "tensions" (Spannungen) sprechen. Auch die Kameraführung ist für Details zu haben, denn kaum taucht Nicks Gesicht vollständig aus dem Gemenge der Umstehenden auf, sieht man neben ihm kleine, regenbogenfarbene Lichtreflexionen... eine feine Anspielung auf die Regenbogenfahne der LGBTQ+ -Community.
Charlie geht nun schnell zu seinem Platz neben Nick, der darauf mit einem freundlichen Lächeln zu ihm aufschaut. Und wieder so ein ikonisches Detail aus den Graphic-Novells, das sich ebenfalls im Lauf der Serie fortsetzt: "HI." "HI." 2 Buchstaben, ausgesprochen von 2 unterschiedlichen Menschen, auf eine unbegreiflich romantisch-cute Art und Weise. Und wieder die Blätter, diesmal um die Köpfe der beiden.
Why details matter...
Warum ich diese ersten paar Minuten aus Episode 1 so ausführlich beschreibe? Die Serie lebt von solchen Details! Heartstopper setzt sie sehr dosiert in den passenden Momenten ein und das nicht, weil man sonst nicht verstehen würde, was gerade Phase ist, sondern als durchdachtes, niedliches Zusatz-i-Tüpfelchen. Und das ist auch gut so, denn es verleiht der Serie diesen reizenden Charme. Ob das nun die Animationen mit den Zeichnungen aus den Comics sind oder kleine versteckte Easter Eggs in der Szenerie. Beide Hauptcharaktere haben ihre eigene Farbe: Nick blau und Charlie gelb! Ihr werdet überall Details in diesen Farben finden, von Kleidung oder einem Regenschirm über Fensterglas und Wandfarbe bis hin zu ganz unauffälig im Hintergrund platzierten Flaschen.
Und können wir mal bitte über die Musik reden? Die Filmmusik von Heartstopper, komponiert von Adiescar Chase, wirkt immer passend, unterstreichend und dynamisch. Sie nimmt den Zuschauer immer mit und zieht nach vorne, schleppt nie nach oder wirkt aufdringlich. Und sobald sich einer "dieser Momente" anbahnt, in denen die Funken sprühen, macht sich das auch in der Musik bemerkbar. Die harmonisch, melodische Backgroundmusik unterstreicht das was passiert exakt in einem diffus, wolkig-warmen Stil. Ich kriege schon Gänsehaut und erinnere mich sofort, aus welcher Szene die Melodie ist, wenn sie nur kurz anklingt, so gut passt sie zu Heartstopper und so treffsicher wird Musik als Gefühlsübermittler eingesetzt. Kurzum: Um die Serie und die Magie zu verstehen, braucht es genau diese Details. Zu sagen, die Serie bestehe aus Kleinigkeiten, täte ihr hingegen sehr unrecht. Denn bei aller Niedlichkeit hat sie Tiefgang, und wie! Dabei ist sie aber nie unrealistisch oder hat einen Hang zu so einer Art Drama, wo so gut wie alles irgendwie schlimm läuft und pure Verzweiflung ist. Es ist einfach eine bezaubernde Geschichte über 2 verliebte Jungs, die so unterschiedlich sind.
Main-Characters
Charlie ist der von seinem Mobbing gezeichnete, zurückhaltende Nerd, Nick hingegen allseits beliebt und bekannt, aber auch seinem sozialen Druck erlegen... Beliebt zu sein hat auch Schattenseiten, wie sich zeigen wird.
Charlie hat sich voll verknallt, zweifelt aber stark daran, dass Nick auch so fühlt... Wie könnte so ein cooler, sportlicher Typ überhaupt auf Jungs stehen und dann auch noch auf jemanden wie ihn? Ausgeschlossen! Dennoch gibt er die Hoffnung nie ganz auf. Seine Freunde sehen das ähnlich: Für sie ist Nick der Hetero-Typ schlechthin und vor allem Tao versucht es ihm auszureden.
Doch eines Tages, nach vielen weiteren süßen "Hi's" auf dem Gang zwischen den beiden, fragt Nick Charlie, ob er ins Rugby-Team möchte. Er habe im Sportunterricht gesehen, wie schnell Charlie laufen könnte und bräuchte unbedingt einen Reservespieler im Team. Charlie, innerlich hoffend, nach einem Date gefragt zu werden, ist baff. Rugby kann er überhaupt nicht. Er, verliebt, sagt dann aber doch zu. Tao's späteren Hinweis, dass das sein Begräbnis wird, ignoriert Charlie. So kommen sich Nick und Charlie näher und eine Freundschaft beginnt.
Als Charlie dann eines Tages die Umkleide verlässt, ist Nick misstrauisch. Er folgt ihm und wird Zeuge einer Szene, bei der Charlie von seinem geheimen Freund Ben an eine Wand gedrückt und gegen seinen Willen geküsst wird. Ben, von dem Charlie eigentlich nichts mehr hören wollte, weil der ihn nur sehen wollte wann es ihm passte, wollte das nicht akzeptieren. Plötzlich wird Ben weggerissen und verscheucht, und Charlie sieht, dass es Nick war, der ihn beschützt hat. Er will sich bei Nick entschuldigen, aber selbstverständlich ist die Situation gar nicht seine Schuld, sondern Ben's. Doch Charlie hat einen Hang dazu, sich für alles schuldig zu fühlen, in dem Fall dafür, dass Nick all das mitbekommen hat und in die Situation reingezogen wurde. Nick weist seine Entschuldigung zurück und streicht Charlie freundschaftlich über die Schulter. Zuhause angekommen schreibt Nick ihn schließlich an und fragt, ob alles okay ist. Nach einigem Hin und Her ringt sich Charlie endlich dazu durch, ihm zu erzählen, wie es zu der Situation mit Ben kam. Das ist ein Schlüsselmoment für das Vertrauen der beiden und die Szene wird bis zum Schluss immer wieder thematisiert.
Nick und Charlie treffen sich nun auch mal privat und wieder gibt es diese Vibes zwischen den beiden, stimmungsvoll durch die gezeichneten Animationen unterstrichen. Wie hier: Nick besucht Charlie und sie haben einen schönen Nachmittag. Als Charlie schließlich vor dem Fernseher einschläft und Nick ihn beobachtet, verspürt er plötzlich das Bedürfnis Charlies Hand zu nehmen. In dem Moment als Nick's Hand in die Nähe von Charlie's Hand kommt, sprühen kleine animierte Funken, ein heller Glow erscheint zwischen ihren Händen... es knistert sprichwörtlich. Nur wissen sie das nicht voneinander, glauben, dass der andere bestimmt nichts fühlt. Und so zieht Nick seine Hand zurück.
Als Nick schließlich nach Hause muss und Charlie darüber traurig ist, sieht Nick ihn einige Sekunden an und gibt seinem plötzlichen Bedürfnis nach ihn zu umarmen. Nach 10 ewigen Sekunden hastet er schließlich sichtlich überfordert zur Tür hinaus. Charlie, der seinen Freunden davon erzählt, ist sich danach irgendwie ziemlich sicher: Da scheint wohl doch mehr im Busch zu sein!
Nick beginnt nach dem Erlebnis bei Charlie langsam, seine Gefühle für Charlie zu begreifen und versucht sie für sich zu sortieren.
Stichwort: Vielfalt
Das Storytelling liefert eine breite Ebene, auf der man sich identifizieren kann und begleitet Nick behutsam auf seiner Suche, was er denn jetzt eigentlich ist: Schwul, so wie Charlie? Bi? Oder nichts von alldem?
Viele aus der LGBTQ+ -Community, mich eingeschlossen, kennen ihn: Den online Gay-Test, dem auch Nick sich mit mehrheitlich schwulem Ergebnis unterzieht.
Für ihn kristallisiert sich aber nach und nach heraus, dass er Charlie und damit Jungs liebt, aber auch Mädchen. Und das ist mega, denn leider sind auch 2022 bisexuelle, männliche Film-/Seriencharaktere selten. Die Art, wie die Serie seine Suche beschreibt, ist nachvollziehbar und Nick sehr fair zu sich selbst. Er kann sich die Zeit nehmen, die er braucht und egal, wie er sich am Ende definiert... es ist ok! Diese Vielfalt und gesunde Repräsentation tut so gut!
Dazu trägt auch die Sidestory von Charlie's Freundin Elle bei, die vor kurzem auf eine Mädchenschule, die Higgs, gewechselt ist. Elle ist transgender und wurde ebenfalls gemobbt, als sie noch auf Charlie's Schule ging. Gespielt wird sie von der trans-Schauspielerin Yasmin Finney. Ich finde diese Sidestory klasse, denn Elle ist nicht nur ein super Charakter, sondern für Leute, die selbst gerade am Struggeln sind, ob sie trans sind oder sich im Outingprozess befinden, eine Identifikationsrolle.
Noch mehr Vielfalt schaffen dann Elle's neue Freund*innen, Tara und Darcy, ein zu Beginn ungeoutetes, lesbisches Pärchen.
Selbstzweifel und gute Freunde
Nick und Charlie's Freundschaft geht bald so weit, dass sich Nick für Charlie in Schlägereien mit seinem Rugby-Mate Harry begibt, einem reichen, arroganter Typ, der vor allem eines kann: andere fertig machen und mobben. Natürlich ist auch Charlie Zielscheibe, was aber ab einem gewissen Punkt Nick's Maß überfüllt. Er schlägt zu.
Und auch dafür fühlt sich Charlie schuldig, glaubt sogar, er mache alles kaputt, zerstöre anderer Leute Leben, die ohne ihn viel besser dran wären. Seine bloße Existenz erscheint ihm dafür Begründung genug und er zieht sich zurück, drischt auf sein Schlagzeug ein. Im Ansatz wird damit das Thema Suizid aufgeworfen, was ich mutig und absolut erwähnenswert finde. Es schafft eine Sichtbarkeit, dass das Themen sind, die junge Leute beschäftigen. Charlie bleibt aber nicht sich selbst überlassen. Er hat ja gute Freunde und eine witzig sarkastische, immer wieder plötzlich auftauchende Schwester, die ihn wegen seines lauten Schlagzeugspiels fragt, ob er nun endlich seine rebellische Phase habe. Und auch Nick akzeptiert nicht, dass Charlie sich einreden will, er sei es gewohnt gemobbt zu werden. Das sei halt so, das sei er, Charlie, selbst schuld... "Leute sollten sowas gar nicht erst zu dir sagen. Es sollte überhaupt keinen Anlass geben, dass so was passiert".
Und auch das Thema "gute Freunde, schlechte Freunde" wird behandelt. Nick beginnt sich zunehmend zu fragen, ob er überhaupt er selbst ist unter den Leuten, die er seine Freunde nennt. "Hast du auch manchmal das Gefühl, dass du manche Sachen nur machst, weil alle anderen sie machen?", fragt er ein befreundetes Mädchen. Ich finde es sehr wichtig, dass solche Werte-Fragen gestellt werden, auch das öffnet Augen.
Die Hauptdarsteller
Damit die Inhalte so transportiert werden, wie sie gemeint sind und die ganze Geschichte glaubhaft zum Leben erwacht, braucht es Schauspieler. Und die leisten bei Heartstopper allesamt einen Mega-Job! Netflix hat bei dieser Serie für viele der Charaktere ein Open-Casting gemacht. Es konnten sich also auch Leute bewerben, die bisher nicht professionell geschauspielert haben und/oder keine Agentur haben. Joe Locke (Charlie) hat sich beworben, weil es immer sein Traum gewesen sei Schauspieler zu sein, wie er dem BBC und anderen Medienhäusern in Interviews sagte. Dabei muss man bedenken: Zum Zeitpunkt der Castings war Corona in vollem Gange, gerade Großbritannien und die Isle of Man, wo Joe lebt, waren schwer betroffen. Also mussten die Bewerber (mehr als 10000!) zuhause ein Video von einer Beispielszene aufnehmen, während nebenan die Mama kochte und die Geschwister wegen Lockdown im Wohnzimmer rumhüpften. Oder so ähnlich. Das war auf jeden Fall alles andere als alltäglich. Joe hat die Rolle bekommen, trotz Lockdown und obwohl er noch nie zuvor professionell geschauspielert hatte. Und er hat sie gespielt, als hätte er seit Jahren nichts anderes getan, man kauft ihm jede Szene ab und er hat eine tolle Ausstrahlung. Man kann es gar nicht genug betonen: Es war seine allererste professionelle Rolle, das hat man aber nie bemerkt, denn Joe Locke hat abgeliefert! Sein Serien-Boyfriend Kit Connor (Nick) dagegen hatte schon etwas professionelle Schauspielerfahrung und konnte ihm so etwas weiterhelfen. Apropos Lockdown: Die beiden haben sich zunächst ausschließlich über Zoom kennengelernt. Und trotzdem haben sie so eine Chemie aufgebaut, dass ihre Romanze in der Serie glaubhaft wirkt. Ich stelle es mir fürs "Miteinander-warm-werden" auch ehrlich nicht leicht vor, zu wissen, dass ich jemanden, den ich gerade über Zoom kennenlerne, bald für eine Serie küssen soll. Aber das haben sie problemlos hingekriegt. Laut Kit hat ihre Freundschaft mittlerweile das Stadium erreicht, in dem sie zueinander im Scherz gemein sein können. Seitdem darf sich Joe Locke anhören, dass er aufgrund seiner Kaffee-Obsession penetrant nach Kaffee aus dem Mund rieche oder dicke, knorrige Daumen habe. Kurz: Die 2 verstehen sich bestens und das spürt man. So eine Harmonie kann man nicht faken, entweder passt es oder es passt nicht. In ihren zahlreichen Interviews seit Serienstart wirkten die beiden ausgesprochen sympathisch, harmonisch und zeigen sehr viel Empathie und Weitblick für die LGBTQ+ -Community.
Tell positiv!
Endlich eine positive LGBTQ+ -Geschichte!
Dass in der Serie Mobbing gezeigt wird und auch die Art und Weise wie ist realistisch, denn leider gehört es für Viele in der LGBT-Community, aber auch darüber hinaus für Menschen, die nicht ins Raster der vermeintlichen Norm passen, auch 2022 noch immer dazu. Deshalb ist es gut, dass Mobbing nicht verschwiegen oder beschönigt wird. Die Serie weiß aber diese Themen nicht überzustrapazieren, sie nur behutsam zu thematisieren. Was ich nämlich nicht ständig brauche, ist die gefühlte Dauerkatastrophe bei der eine LGBTQ+ -Person gezeigt wird, die sich als ausgebranntes mentales Wrack durch den Schul-/Berufsalltag quält. Sicher, solche Geschichten müssen auch erzählt werden, es kann nicht alles so glimpflich ablaufen, wie bei Heartstopper.
Ja, die Serie ist sehr positiv gestrickt, aber meiner Meinung nach muss es genau solche Stories auch geben! Sie hat mehr als ihre Daseinsberechtigung, denn auch schöne Geschichten rütteln eine Gesellschaft wach, die Botschaft ist ganz klar: Auch schwule, queere Lovestories sind schön und nicht nur Drama. Erfrischend ist auch die Normalität, mit der Charlie mit seiner Sexualität umgeht. Es gibt schöne Seiten, aber auch schlechte... Das Ganze findet auf so eine Weise statt, dass es keineswegs den Zauber der Romanze zerstört oder unsensibel wäre. All das sind diese gefühlvollen Einwürfe im genialen Storytelling der Serie.
Die Serie hat schon jetzt weltweit Leute inspiriert und manche dazu bewegt, sich mithilfe oder wegen der Serie zu outen. So erzählte Kit Connor unter anderem bei ThisMorning, dass Fans bei Twitter geschrieben habe, sie hätten sich mithilfe des Outings seines Charakters Nick bei ihren Eltern/Verwandten geoutet. "Das ist, um ehrlich zu sein, der schönste Moment meiner Karriere", sagte er sichtlich bewegt.
Ein bisschen Kritik
Eine kleine Kritik habe ich aber dennoch... Zunächst mal oute ich mich hier und jetzt als Liebhaber der Originalsprache. Für mich war ausgeschlossen, Heartstopper auf Deutsch zu sehen. Auf Englisch kommen so viel mehr Details und Gefühle rüber, einfach weil Schauspieler und Stimme eins sind. Und gerade britisches Englisch ist da besonders, ob es um Formulierungen geht, die viel griffiger und schnippischer wirken, oder um den einfach besonderen Akzent, der für mich viel von der ganzen Niedlichkeit ausmacht.
Das setzt sich aber leider auch bei den Untertiteln fort. Ich als Kenner von sowohl englischer, wie deutscher Sprache, habe sofort bemerkt, dass diese - freundlich gesagt - gestrafft wurden. Leider verändert sich dabei aber hier signifikant die ganze Aussage, der Sinn. Bestes Beispiel, die Szene als Charlie Nick fragt "Would you go out with someone, who isn't a girl?" > "Würdest du jemanden daten, der kein Mädchen ist?" Im Untertitel wird daraus "Würdest du auch jemanden daten, der ein Junge ist?" gemacht, also sinngemäß übersetzt "Would you go out with someone, who is a boy?" Kleiner Unterschied, auch wenn vielleicht dasselbe gemeint sein soll, aber der Sinn ist am Ende leider doch verändert. Das passiert nicht nur einmal, sondern an mehreren Stellen, an denen der Sinn im deutschen Untertitel mehr oder weniger signifikant verändert wird. Schade, gerade beim Beispiel oben und dem Thema "Gender-Awareness" hätte ich mir vonseiten der deutschen Übersetzung bei einer queeren Serie mehr Sensibilität erwartet.
Weiterhin fehlt im Deutschen wie auch in anderen Sprachen (außer dem englischen Original) die Audiodeskription. Das sind Situations-Beschreibungen per Sprache, durch die sich eine sehbehinderte Person besser vorstellen kann, was in der Szene gerade passiert. Die zum Beispiel auch Mimik beschreiben, wie "Charly schaut betreten zu Boden". Danke an meine aROund-Kollegin Andrea für diesen wichtigen Hinweis! Inklusion sollte keine Grenzen kennen!
Mein Fazit
Heartstopper - Eine einfach nur wunderschöne Geschichte über die Liebe und das Leben, die einen beim Ansehen der ganzen Details verzückt und beim zuckersüßen Interagieren von Charlie und Nick dahinschmelzen lässt, beim Aufbau der Story und der Wahl der Inhalte aber absolut bewegt. Vielleicht ist mein oben beschriebenes Gefühl nach dem Schauen von Heartstopper auch dem geschuldet, dass man einfach so gerührt ist, weil so etwas Schönes tatsächlich passiert. Und vielleicht ist es auch der innerliche Wunsch, so eine schöne Geschichte selbst zu erleben. Danke an Alice Oseman, dass sie so eine wundervolle Welt mit so nachvollziehbaren Charakteren kreiert hat.
Gut, dass es diese Geschichte jetzt für Jede*n mit Netflix-Konto und -Abo zum Dauerstreamen gibt! Ich kann gar nicht anders als euch eine uneingeschränkte Empfehlung zu geben. Für mich ist das mit sehr sehr großem Abstand die bis jetzt BESTE SERIE DES JAHRES... grundsätzlich. Und ganz allein scheine ich mit der Meinung bei den Aufrufzahlen ja auch nicht zu sein. Nicht umsonst gibts für die Serie bei den "Rotten Tomatoes" 100 %... ebenfalls etwas ganz besonderes.
Ihr habt gemerkt, die Serie hat mich völlig eingenommen und ich werde sie wohl noch einige mal rewatchen. Am Stück natürlich. Sie hat mich aber nicht nur zum Fan gemacht, sondern tief berührt. Ich werde einen Artikel herausbringen, in dem ich euch ganz persönlich erzähle, warum ich der Serie so verbunden bin und warum ich mich gerade mit Charlie Spring so sehr identifizieren konnte. Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr euch auch diesen Artikel von mir anseht! :)
Spoiler-Alert
Wie sieht es mit Staffel 2 aus?
Netflix hat sich bis zum Erscheinen dieses Artikels nicht zu einer möglichen 2. Staffel geäußert. Meist, so Erfahrungswerte, entscheidet der Konzern dies in den ersten 3-4 Wochen nach Release, nach sorgfältiger Betrachtung der Aufrufzahlen. Stoff genug gäbe es mit den Graphic-Novels Heartstopper Volume 3 und 4 allemal! Beispielsweise eine Reise nach Paris, bei der vor allem zwischen Tao und Elle mehr entsteht, aber auch eine Storyline über Charlie, der eine Essstörung entwickelt. Angeschnitten wurde das schon in Heartstopper Staffel 1, denn wer genau darauf achtet, wird feststellen, dass Charlie mehrmals ihm angebotenes Essen (z.B. Popcorn von Nick im Kino) ablehnt oder sein Pausenbrot anschaut und direkt wieder wegpackt als er sich in den Kunstraum verkriecht.
Wir dürfen also hoffen und gespannt sein, ob eine 2. Staffel kommt und was ihr Inhalt sein wird. Natürlich hoffe ich vor allem auf viele Couple-Szenen mit Nick und Charlie. Erscheinen könnte so eine 2. Staffel nach baldiger Entscheidung und Auftrag vonseiten Netflix im Q2/2023.
Dieser Beitrag ist Teil einer Serie.
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