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Foto eines Metzgerei-Verkaufsraumes. Frau mit Blindenstock steht im Raum. Am Boden sind Abstands-Markierungen.

Foto: Andrea K.

Meinung von Andrea
Bereich
Wissen
Veröffentlicht
25.04.2021

Wie barrierefrei ist das Coronavirus?

Meinung von Andrea:

 

Wieso hat eigentlich noch niemand uns Menschen mit einer Sehbehinderung oder Blindheit gefragt, was ein barrierefreier Alltag in Zeiten der Pandemie für uns bedeutet? Die Masken nehmen uns die Orientierung über Schall und Geruch, überall gilt "anfassen verboten" und die Selbsttests sind für uns nicht zu gebrauchen!

Das neuartige Coronavirus hat 2020 als Pandemie die ganze Welt erobert. Das Leben fast aller Menschen hat sich seitdem um 180 Grad gedreht. Viele Thematiken wurden so präsent wie noch nie zuvor. Anfangs war es für alle ein Ausnahmezustand, weil niemand wusste, was dieses Corona überhaupt ist und welches Ausmaß das für die Bürger:innen in Deutschland hat. Jetzt ist es unser Alltag. Besonders hat sich das Leben der knapp 400.000 Bürger:innen in Deutschland, die sehbehindert oder blind sind, verändert. Auch mein Alltag mit einer Sehkraft von unter 2% hat sich dadurch stark gewandelt. Aufgrund der plötzlichen Not, die alle verspürt haben, stand alles auf dem Kopf. Ich selbst musste erstmal mit meinem neuen Alltag klarkommen und passte mich den Umständen und den Regeln an.

 

Besonders schwer fiel es mir anfangs, nicht mehr unter der Woche im Internat sein zu können, um meine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement an einer speziellen Schule für Blinde und Sehbehinderte in Nürnberg zu machen. Anstatt mit meinen Mitschülern die Inhalte der Ausbildung verstehen zu lernen, wobei mir meine Ausbilder eine individuelle Hilfestellung geben, sitze ich täglich mit einem überfüllten E‑Mail-Postfach und ganz vielen Aufgaben allein zu Hause. Im ersten Lockdown gab es für uns Schüler:innen von unserer Schule noch keine Plattform, auf der ein gemeinsamer und barrierefreier Unterricht stattfinden konnte. Neben dem Homeschooling eignete ich mir viel neues Wissen über das Coronavirus an und weiter ging mein Alltag in meiner Heimatstadt im Landkreis München, indem ich alles selbstständig bestreite.

 

Im Nachhinein betrachtet waren die Supermarktbesuche für mich in dieser Zeit negativ zu beurteilen. Was ich hier kritisiere, mag für einen Sehenden eine Kleinigkeit sein. Mich hingegen hinderte es daran, einen schnellen Einkauf zu erledigen. Dadurch dass ich kaum sehe, ist das Befühlen bei der Wahl der richtigen Lebensmittel für mich wichtig. Dies wurde vor allem im ersten Lockdown von anderen Kunden und den Mitarbeitern aufgrund der Hygiene-Maßnahmen nicht gerne gesehen. Außerdem kann ich die diversen Hinweise, die neuerdings auf den Boden geklebt werden und die ich nett als „Flecken mit Regeln“ bezeichne, nicht mit dem Blindenstock ertasten oder gar lesen! Wer kniet sich gerne vor allen Menschen auf den Boden und geht mit den Augen ganz nah ran, um zu entziffern, was da befolgt werden soll? Spitz gesagt: Das mach ich definitiv nicht!

In solchen Situationen habe ich unberechtigterweise die ein oder andere „höfliche“ Bemerkung oder einen spöttischen Blick - den ich fühlen kann! - abbekommen. Was soll´s? Ich nehme das nicht mehr allzu ernst, da ich mich nicht jedes Mal neu erklären möchte, wenn man mir mein Handicap nicht gleich ansieht.

 

Da ich trotz dieser Pandemie noch selbstständig unterwegs sein möchte, bin ich mit Maske und fifty-fifty mit meinem Blindenstock unterwegs. Nun ja, wie Corona das so will, habe ich des Öfteren nicht-coole Begegnungen mit Wänden, Türen oder ähnlichem gemacht. Durch die Maske erhalte ich kaum Schallwellen zurück und wenn ich dann nicht hinschaue, macht es rums und das Hindernis ist schneller da als gedacht. Das hält mich aber nicht auf, weiter meine Wege zu gehen! Aber die Maske hemmt in manchen Momenten auch noch meinen Geruchssinn, den ich ebenfalls zur Orientierung nutze! Beispielsweise hindert mich das daran, an der richtigen Stelle abzubiegen, wo ich sonst wusste: nach dem Bäcker muss ich links laufen. Und kennst du auch diese vielen Markierungen, Hinweise und Schilder, die außen an Geschäften oder auf dem Boden davor angebracht sind? Was haben Sie sich dabei gedacht? Also die Bodenmarkierungen nehme ich nur als Fleck mit Schrift wahr. Und die oft klein gedruckten Hinweise am Schaufenster kann ich auch nicht lesen.

 

Jetzt bin ich fast an der Spitze der nicht-vorhandenen barrierefreien Corona-Lage angekommen und so würde ich auch meine dazugehörige Wut beschreiben. Aufgrund verschiedener Komponenten bin ich in der Impf-Reihenfolge auf Priorität 2 gerutscht. Vor ungefähr zwei Wochen wurde ich deshalb in einem Impfzentrum in meiner Nähe geimpft. Ich wollte gleich die Situation nutzen, um den ganzen Prozess auf Barrierefreiheit zu inspizieren. Das Anmelden und die Informationseingabe fand auf einer barrierefreien Onlineplattform statt. An meinem Impftermin selbst musste ich vor Ort aber noch weitere Formulare ausfüllen. Dies gestaltet sich für mich schwierig, da die Formulare klein gedruckt sind und schlecht Sehenden, dazu gehören auch manchmal Senioren, keine Hilfe vom dortigen Personal angeboten wurde. Ich wurde von den Mitarbeitern von Station zu Station gelotst. Trotz des massiven Stresses, der tagtäglich auf die Mitarbeiter wartet, waren alle sehr nett und sogar der ein oder andere Witz kam über ihre Lippen.

 

Jetzt aber wirklich zur Spitze meiner Kritik in Bezug auf die Barrierefreiheit der aktuellen Lage. Ich kann es nicht verstehen, wie die deutsche Regierung uns bei einem so wichtigen Thema wie dem Verfahren der Selbsttestung außen vorlassen kann! Seit neustem gibt es verschiedene Wege, sich selbst zu testen. Ich kann dazu sagen, dass der ganze Prozess des Testens und auch des Auslesens nicht blindenfreundlich ist! Im dazugehörigen Erklärvideo wird das Verfahren des Selbsttests mit einer Hintergrundmusik gezeigt, ohne dass eine Person die einzelnen Schritte erklärt. Ebenfalls muss das Auslesen des Ergebnisses von einer sehenden Person getätigt werden, da die Schrift einfach viel zu klein ist!

 

Für uns sehbehinderte und blinde Menschen ist es eine Herausforderung, in der jetzigen Situation unseren Alltag zu meistern und obwohl dein Leben auch auf dem Kopf steht und du dieses eine Gefühl verspürst, appelliere ich an dich: Vergiss deine Mitmenschen nicht, bei den Maßnahmen, die ihr ergreift und reagiert nicht gleich gereizt, wenn jemand einen Fehler macht, weil er die Regel vielleicht gar nicht erkennen kann. Ich bleibe meinem Motto auch jetzt treu und das bedeutet für mich: „Sehen oder nicht sehen ist für mich in Zeiten der Corona Pandemie keine Frage.“

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