
Ates Gürpinar | Foto: Olaf Krostitz
1) Bitte stellen Sie sich in 2-3 Sätzen vor.
Mein Name ist Ates Gürpinar, ich lehrte als studierter Medienwissenschaftler im Bereich Medien und Ökonomie. Ich bin 2010 in die Partei Die Linke eingetreten, um nach dem Ende der Bildungsproteste, die insbesondere 2009 an Hochschulen in ganz Europa stattfanden, ein weiteres Fundament für meine politische Arbeit zu haben. Seit 2021 bin ich im Deutschen Bundestag und bin dort vor allem in der Krankenhaus-, Pflege und Drogenpolitik beschäftigt.
2) In vielen deutschen Städten, darunter auch Rosenheim, und in ländlichen Regionen gibt es immer noch zu wenige Radwege. Länder wie die Niederlande sind in diesem Bereich deutlich weiter. Sind Sie für den Ausbau von Radwegen, auch wenn dafür Parkplätze wegfallen müssten?
Die allermeisten, die in Rosenheim mit dem Fahrrad zur Schule oder in die Arbeit fahren, können ein Lied davon singen, wie wild manche Autofahrer in der Innenstadt fahren. Damit man mit dem Fahrrad sicher ankommt, braucht es flächendeckend mehr Fahrradwege und einen gut ausgebauten ÖPNV, der Autos in Innenstädten mittelfristig unnötig werden lässt. Dadurch wäre es sicherer für Fahrradfahrer und Fußgänger und außerdem viel sauberer. Wenn man Fahrradwege und ÖPNV ausbaut, wäre der Bedarf an Parkplätzen weitaus niedriger.
3) Viele Jugendliche wünschen sich eine bessere Work-Life-Balance und fordern Maßnahmen wie Arbeitszeitverkürzung und mobiles Arbeiten. Befürworten Sie solche Ideen und warum, bzw. warum nicht?
Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf und acht Stunden Freizeit. Das war das Motto der 40-Stunden Woche. Von diesen acht Stunden Freizeit bleibt aber meistens nicht mehr viel übrig, wenn man lange Fahrzeiten hat, noch einkaufen geht oder sich um den Haushalt kümmern muss. Viele kommen ohne einen Vollzeitjob aber gar nicht über die Runden. Das ist Kernthema linker Politik. Wir streiten für bessere Arbeit und besseren Lohn, vor allem für die Menschen, die trotz viel Arbeit zu wenig Geld in der Tasche haben. Das Argument, dass mehr gearbeitet werden soll und immer mehr Leistung gebracht werden muss, damit die Wirtschaft wächst, ist Quatsch. Das Gegenteil ist der Fall: Die Menschen werden produktiver, wenn weniger gearbeitet wird. Daher streite ich seit längerem für eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Die Arbeitszeit kann sich bei der technischen Produktivität, die wir haben, um 32 Stunden drehen. So wird die Arbeit produktiver und wir haben mehr Zeit, um Freunde zu treffen, für ehrenamtliches Engagement oder einfach zur Entspannung.
4) Stellen Sie sich vor, es ist Christopher Street Day (CSD) in Rosenheim. Würden Sie daran teilnehmen und warum, bzw. warum nicht?
Besonders jetzt, in Zeiten einer immer stärker werdenden extremen Rechten, nehmen Angriffe auf queere Menschen stark zu. Während die Ehe für alle 2017 und das Selbstbestimmungsgesetz der Ampel 2024 schon gute Schritte in die richtige Richtung waren, ist es noch lange nicht genug. Zum Beispiel bei Themen wie dem Adoptionsrecht für homosexuelle Paare oder der medizinischen Versorgung von Transpersonen liegt noch viel Arbeit vor uns. Ich habe die Sorge, dass bei einer CDU/CSU-Regierung diese kleinen Erfolge wieder zurückgedreht werden, wie es Friedrich Merz schon angekündigt hatte. Deswegen gehe auch ich auf die Straße, wenn CSD ist, um meine Unterstützung für queere Menschen zu zeigen und Teil eines breiten Protests gegen einen rechten Rollback zu sein. Vergangenen Juni war unser Kreisverband in Rosenheim auf dem CSD mit einem Stand vertreten.
5) Welche Schule, vielleicht sogar in Stadt oder Landkreis Rosenheim, haben Sie besucht? Wenn Sie heute wieder die Schulbank drücken würden, was würden Sie am aktuellen Schulsystem ändern wollen?
Ich ging in Darmstadt zur Schule und kam erst zum Studium nach Bayern. Eigentlich habe ich gerne gelernt. Ob es darum geht, wie man Fußball spielt, Tiere, Pflanzen oder auch Planeten anzuschauen oder auch ein neues Videospiel zu meistern: Kinder lernen gerne. In die Schule gehen aber nur wenige wirklich gern. Das liegt am aktuellen Schulsystem, an der Tatsache, dass man sechs Stunden am Tag stillsitzend zuzuhören hat, mit Zahlen von eins bis sechs abgestempelt wird und schon nach der vierten Klasse in gut und schlecht aufgeteilt wird. Angst, Leistungs- und Konkurrenzdruck haben in einem guten Lernumfeld nichts zu suchen. Ich möchte den Kindern Zeit geben zu lernen, gemeinsam unabhängig von ihrem persönlichen und sozialen Hintergrund. Es braucht genügend Lehrkräfte für eine individuelle Unterstützung und einen bestmöglichen Lernfortschritt.
6) Angenommen, die Sporthalle in Ihrem Ort soll geschlossen werden, um dort Geflüchtete unterzubringen. Wie stehen Sie dazu, und welche Maßnahmen würden Sie ergreifen, um die Situation zu verbessern?
Niemand verlässt sein Zuhause einfach so, Flucht ist oft der letzte Ausweg für viele Menschen und bedeutet auch immer tiefe Verzweiflung und Traumata. Dass Geflüchteten Schutz geboten werden soll, ist für mich keine Frage. Dass wir uns für gerechte Lebensbedingungen für sie einsetzen auch. Dass Menschen für Wochen, Monate oder sogar Jahre in einer Turnhalle leben müssen, ist unmenschlich. Die Lebensbedingungen in Turnhallen sind schlecht. Aufgrund mangelnder Sanitäranlagen und durch fehlende Privatsphäre werden die Menschen enormem psychischen Druck ausgesetzt. Es ist aber auch völlig unnötig. Wenn die Bundesregierung und die bayerische Regierung ihren Versprechen nachkommen würden und für genügend Wohnraum für alle sorgten, dann wäre Geflüchteten geholfen und den Schulkindern. Wir müssten also die Sammelunterkünfte so schnell wie möglich durch geeignete Wohnmöglichkeiten ersetzen.
7) Im Internet und in der Presse nehmen Fake News zu. An welche Fake News müssen Sie spontan denken und was kann und sollte die Politik dagegen unternehmen?
Bei Fake News fallen mir zuerst die Verschwörungstheorien rund um die Corona-Pandemie ein, die auch in Rosenheim viel Anschluss gefunden haben. Bei vielen Menschen wurden damals die Lebensumstände über Nacht umgekrempelt durch Ausgangssperren, Jobkündigungen oder plötzliches Homeschooling. Viele hatten Angst und waren sich nicht sicher, ob ihr Geschäft die Pandemie überlebt oder wie sie die kommenden Monate finanziell bestreiten sollen. Dass es wenig Unterstützung von staatlicher Seite gab und hier vor allem darum gekämpft wurde, die Wirtschaft am Laufenden zu halten, führte bei vielen verständlicherweise zu Frust und Verzweiflung. Verschwörungsmythen und Fake News bieten dann einfache Antworten auf sehr komplexe Probleme. Um Fake News effektiv entgegenzuwirken, braucht es also sicher mehr Aufklärung und besseren Zugang zu Wissen, um Faktenchecks selbst durchführen zu können. Noch viel wichtiger ist es meiner Meinung nach aber, dass es gar nicht so weit kommt, dass Leute mit so verzweifelnden Situationen konfrontiert sind, dass sie auf Fake News reinfallen.
8) Was macht die Stadt Rosenheim und den Landkreis Rosenheim für Sie besonders?
In Rosenheim leben unheimlich tolle, liebenswürdige Menschen – und die Umgebung ist wunderschön: Mit Wasserburg und Prien, mit dem Chiemsee haben wir wirklich enorm schöne Orte in diesem Landkreis, die einmalig sind. Und ja, Stadt wie Landkreis sind eher konservativ. Aber an jedem Ort habe ich Menschen kennengelernt, die sich gegen Rechts engagieren, die alternative Kulturarbeit anbieten, die sich im Ehrenamt engagieren. Und es sind diese Menschen, die den Landkreis und die Stadt so besonders machen.
9) Was schätzen Sie an einem anderen Direktkandidaten oder einer anderen Direktkandidatin aus Rosenheim?
Daniela Ludwig: Wir sind politisch völlig unterschiedlich, mir stehen bei vielen Aussagen von ihr die Haare zu Berge. Persönlich gehen wir fair und freundlich miteinander um. Reka Molnar und Victoria Broßart: Reka sehe ich aktiv im Kampf gegen Rechts, was ich auf Bundesebene von der SPD mehr und mehr vermisse. Victoria wiederum ist bei den Grünen vor allem auch bei der Verkehrswende aktiv, auch wenn wir beim Brenner Nordzulauf nicht einer Meinung sind. Es gibt also politische Anknüpfungspunkte, die ich bei anderen ihrer Parteien leider vermisse.
10) Warum sind Sie der geeignete Direktkandidat für den Wahlkreis Rosenheim?
Rosenheim ist vielfältig und gerade Rosenheim braucht eine starke Stimme für eine stabile Daseinsvorsorge: Mehr bezahlbaren Wohnraum, eine gute Pflegeinfrastruktur, einen massiven Ausbau des ÖPNV. Das geht nur mit einer starken Linken. Dafür streite ich und freue mich über eine starke Unterstützung.